Morgaine 3 - Die Feuer von Azeroth
einmal in unserem Land auf freien Fuß zu setzen, damit du neues Chaos auslösen kannst – nein! Nicht solange meine Frage unbeantwortet bleibt.«
»Was willst du mich fragen, Lord?« Wieder neigte sich Vanye zitternd bis zur Matte und richtete sich wieder auf. »Frag mich morgen. Ich glaube, daß ich dir antworten muß. Aber jetzt bin ich müde und kann nicht mehr klar denken.«
»Nein«, sagte ein anderer
qhal
und stützte sich auf Merirs Sitz, um mit dem alten Lord zu sprechen. »Kann ein langer Schlaf die Wahrheit verbessern? Lord, denk an Lellin!«
Merir überlegte einen Augenblick lang. Es schien ihm zu widerstreben, einen Besucher so unfreundlich zu behandeln, doch schließlich raffte er sich auf. »Ich frage dich. Ich frage dich,
khemeis.
Auf keinen Fall ist dein Leben in Gefahr, dafür aber deine Freiheit.«
»Darf man von einem
khemeis
verlangen, das Vertrauen seines Herrn zu verraten?«
Das blieb nicht ohne Wirkung; die Anwesenden, die keinesfalls unehrenhaft handeln wollten, warfen sich zweifelnde Blicke zu. Merir aber biß sich auf die Unterlippe und musterte sein Gegenüber traurig.
»Gibt es denn etwas zu verraten,
khemeis?«
Vanye versuchte den Schleier fortzublinzeln, der vor seinen Augen lag, und schüttelte den Kopf. »Wir wollten euch nie schaden.«
»Warum Nehmin,
khemeis?«
Vanye versuchte sich darüber klar zu werden, was er sagen durfte und was nicht; und wieder schüttelte er den Kopf.
»Können wir daraus schließen, daß sie Nehmin schaden will? Auf diesen Gedanken müssen wir doch kommen. Und es muß uns mit Sorge erfüllen zu entdecken, daß sie die Macht hatte, an den
harilim
vorbeizukommen. Und wir dürfen dich auf keinen Fall ziehen lassen.«
Darauf gab es nichts zu sagen, und selbst Schweigen bot keine Sicherheit mehr. Die Freundschaft, die ihnen hier entgegengebracht worden war, gab es nicht mehr.
»Sie wollte Nehmin in ihre Gewalt bekommen«, sagte Merir. »Warum?«
»Lord, ich antworte dir nicht.«
»Dann ist es eine Tat, die sich gegen uns richtet – sonst könnte die Antwort nichts ausmachen.«
Entsetzt starrte Vanye den alten
qhal
an. Er wußte, daß er sich jetzt eigentlich eine Ausrede zurechtlegen müßte, irgendeine vernünftige Bemerkung. Mit einer hilflosen Bewegung deutete er in die Richtung Azeroths, in die Richtung, aus der er gekommen war. »Wir bekämpfen das da. Das ist die Wahrheit, Lord.«
»Ich glaube aber nicht, daß wir schon am Kern der Wahrheit sind, solange es um Nehmin geht. Morgaine will dort das Kommando übernehmen. Nein? Was ist denn sonst ihre Absicht?
›Die Gefahr betrifft mehr Welten als diese...‹
Das etwa sind ihre Worte gewesen. Und sie meinen mehr als nur Azeroth,
khemeis,
viel mehr! Darf ich die Vermutung wagen, daß sie Nehmin vernichten will?«
Vanye hatte das Gefühl, zusammengezuckt zu sein. Auch auf den Gesichtern der übrigen Anwesenden zeichnete sich der Schock deutlich ab. Eine bedrückende Schwüle lag in der Luft, die ihm das Atmen schwer machte.
»Khemeis?«
»Wir... sind gekommen, um die Shiua aufzuhalten. Um das zu verhindern, was euch hier bedroht.«
»Gut«, sagte Merir nach kurzem Schweigen, und alle schienen den Atem anzuhalten, niemand rührte sich in jenem Zelt. »Indem die Passage vernichtet wird. Indem Nehmin erobert und zerstört wird.«
»Wir versuchen dieses Land zu retten.«
»Aber du hast Angst, jenen, die darin leben, die Wahrheit zu sagen.«
»Die Kräfte dort draußen – das alles – ist das Ergebnis der Öffnung eures Tors. Wollt ihr noch mehr davon erleben?«
Merir blickte auf ihn herab. Die Umgebung verschwamm vor Vanyes Augen; er zitterte am ganzen Körper. Irgendwo hatte er die Decke verloren; er erinnerte sich nicht daran. Jemand legte ihm einen Mantel um die Schultern, und er drückte bebend den Stoff an sich.
»Bringt den Menschen Roh herein«, sagte Merir.
Es dauerte einen Augenblick, ehe Roh eintrat, und das nicht freiwillig; doch er schien zu müde zu sein, um sich zu wehren, und als er vor Merir geführt wurde, hob Vanye den Kopf und flüsterte ihm zu: »Lord Merir, Cousin; ein König im Walde Shathan und des Respekts würdig. Bitte! Für mich!«
Roh verneigte sich: war er doch ein Klan-Lord eigenen Wassers; wenn man ihm auch die Waffen abgenommen und ihn gekränkt hatte, wahrte er die Würde seines Standes, und als er sich verbeugt hatte, setzte er sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden – was eher eine Höflichkeit gegenüber seinem Verwandten war als gegenüber
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