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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Ich habe ihr die Hand auf den Mund gelegt, dann habe ich sie noch einmal flüsternd angefleht:
    – Geh auf jeden Fall unter dem Sarg durch, Kâmleh, meine Liebe, wir können nachher immer noch sagen, dass du dich geirrt hast, falls du nicht schwanger bist …
    Sie hat mich fragend angeguckt. Ich hatte das Gefühl, dass sie ein wenig zögerte. Dann hat sie mir in die Augen geschaut und in einem Ton zu mir gesagt, als würde sie Geduld für die Torheiten anderer Leute aufbringen:
    – Muntaha, mein Liebe, meine Teure, ich habe euch doch gesagt, dass ich nicht schwanger bin.
    – Und wenn du doch schwanger bist, was ist dann?
    Es fehlte nur wenig und sie wäre in Lachen ausgebrochen.
    Gleich würde man die Leichname aufheben. Die Frauen haben ihre letzten Schreie ausgestoßen. Und diese Fremde ist an uns vorbeigegangen. Keiner hat gewusst, woher und wie sie hierhergekommen war und wohin sie gehen würde, nachdem ihre Aufgabe beendet wäre.
    Ich sah eine Frau, die ich vorher noch nie in unserem Viertel gesehen hatte, groß, hellhäutig, sie ging von Bett zu Bett, setzte sich zu ihnen, rückte ihnen die Krawatten zurecht, schob eine Haarsträhne aus der Stirn oder wischte einen Blutfleck oder etwas Schmutz von der Wange. Dann betrachtete sie für eine Weile das Gesicht und setzte ihren Rundgang fort.
    Dann hat sich Kâmleh über ihren Mann geworfen und ist zum zweiten Mal ohnmächtig geworden. Wir mussten sie in die Kirche tragen.

X
Lebenslange Ächtung
    Es war uns eine Freude, uns gegenseitig auf die Palme zu bringen. Wir stellten dadurch unsere Freundschaft auf die Probe und testeten, ob die familiären Bande, deren wir uns rühmten, tatsächlich eine Grundlage hatten. Wir erzürnten schon, wenn ein Streithammel uns flüsternd den Spott weitertratschte, den er von einem unserer Kumpel über uns vernommen haben wollte. Wenn wir jenem Freund am nächsten Tag auf der Straße begegneten, wandten wir den Blick ab und weigerten uns, ihn zu grüßen. Das zeugte von unserer ersten Männlichkeit. Lange konnte ein derartiges Ausweichen jedoch nicht andauern, denn Streit unter Vettern gehörte sich nicht – und schließlich waren wir doch alle miteinander verwandt, wie die »Friedensstifter« nicht müde wurden zu wiederholen. Die Versöhnung war also bereits vorprogrammiert. In Wirklichkeit waren wir uns von Zeit zu Zeit aber einfach leid. Wir konnten uns manchmal nicht mehr ertragen, trafen wir uns doch täglich auf den Plätzen und in den Gassen, von unseren Müttern aus den engen Häusern vertrieben, wenn die Zeit für den Hausputz gekommen war und der ganze Fußboden unter Wasser gesetzt wurde. Dann ließen wir uns keine Gelegenheit entgehen, zu streiten, und war der Vorwand noch so banal …
    … bis wir von der »lebenslangen Ächtung« hörten. Diese Wendung, die mit ihrer hochsprachlichen Färbung gebrauchsfertig an unsere Ohren drang, wurde stets vollständig und im Brustton der Überzeugung ausgesprochen. Gemeint war, dass die »syrischen Nationalisten«, wie wir sie nannten, bis zum Tod kein Wort mehr mit jenen wechselten, die den Befehlen ihrer Partei zuwidergehandelt oder den Pfad der Moral und der Parteidisziplin verlassen hatten. Das galt, wenn es sie innerhalb der Partei gab, sogar für Brüder. Man unterwarf sich den Anweisungen der Führung, welche aus einem Rektor, einem Vertrauten und einem Aufseher über die »Medien« sowie anderen Personen mit sonderbaren Bezeichnungen bestand.
    Ich erinnere mich noch, dass das Ertragen einer derartigen Form von Missbilligung uns ob seiner Endgültigkeit schlaflose Nächte bereitete; gleichzeitig aber steigerte dies die Faszination für diese Partei, deren Mitglieder, die sich unter einer rigiden Ideologie zusammengeschlossen hatten, uns genüsslich ihre Geschichten zu Gehör zu bringen pflegten. Sie erzählten uns, sie hätten den jordanischen König Abdallah ermordet, weil er die palästinensische Frage verraten habe; sie berichteten über die im Dunkel der Nacht vollzogene Hinrichtung des Gründers ihrer Ideologie, Antûn Saadeh, und ihre Antwort darauf: die Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Riâd Solh, welcher durch die Kugeln eines Mannes aus der Dîk-Familie starb. Der hatte ihm, bevor er abdrückte, zugerufen: »Da, das ist vom Chef!« Alle, ob groß oder klein, bestanden darauf, im Plural zu sprechen, wie etwa: »Am Tag, als wir Adnân al-Mâlki in Syrien umgebracht haben …« Auf diese Weise wurden die Morde in eine kollektive Heldentat

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