Morgen des Zorns
nämlich dass »das Wechseln der Hand« das Auto anfällig werden lasse für Schäden. Eine Waffe war Zierde und Männlichkeit. Das amerikanische Automobil mit den zwei Flügeln aber, wie etwa der Chevrolet oder der DeSoto – besonders in der Version als Cabriolet mit nur zwei Türen, farbigen Sitzen und einem von kostbarem Holz überzogenen Armaturenbrett, durch das sich glänzende Nickelstäbe zogen –, stand an der Spitze der unentbehrlichen Accessoires, wollte man Frauen imponieren. Mitunter führte es auch die Liste der Besitztümer eines Heiratswilligen an – noch vor einer Wohnung und einem »richtigen Broterwerb«, eine Andeutung auf verbreitete Berufe wie Schreiner oder Schneider. Der stolze Besitzer eines neuen Automobils heuerte auch unverzüglich einen Fotografen für eine Aufnahme an: er hinter dem Steuerrad sitzend oder neben seinem Wagen stehend, die Hand auf der Tür, allein oder umringt von Freunden, die ihm als Bestätigung, dass der glänzende DeSoto ihm gehörte, auf der Fotografie den Vortritt ließen.
Die Fußgänger hatten Angst vor den Automobilen. Unsere Mütter ermahnten uns deshalb, zuerst nach rechts und nach links zu schauen, bevor wir die Straßen überquerten. Einige naturverbundene weise Männer aus der Gegend hingegen hatten Angst vor der Mechanik selbst. Sie rieten dem Fahrer zu uneingeschränkter Vorsicht und erinnerten ihn daran, dass sich zwischen ihren Händen ein »Motor« befinde, eine Maschine also, die, sei sie erst einmal losgestürmt, nicht mehr zu bändigen sei.
Es wurde zur Mode, auf die Heckscheibe der Wagen zu kritzeln. Allerdings nur bei Automobilen, die gegen eine Gebühr Passagiere transportierten und deren Chauffeure nicht davor zurückschreckten, wenn die Anzahl der Fahrgäste, die man von den Straßen aufsammelte, überhandnahm, einen Fahrgast links neben sich zu quetschen, so dass die Fahrertür halb offen blieb und der Mann halb draußen. Einer der Chauffeure hatte sogar eine äußerst einfallsreiche Lösung für jene gefunden, die eine psychische Hemmung daran hinderte, ein Automobil zu besteigen, weil sie von einem solchen Schwindel erfasst wurden, dass sie sich übergeben mussten. Er drückte dem dafür Prädestinierten einen Stein in die Hand und forderte ihn auf, sich während der ganzen Fahrt darauf zu konzentrieren, ihn nicht fallen zu lassen. Das Rezept war erfolgreich und trug ihm einen guten Ruf und die Bevorzugung vor den anderen Chauffeuren ein.
Als es zu immer mehr Provokationen und in der Folge zu Rachegelüsten kam, schrumpfte der Markt der amerikanischen Automobile. Sie wurden Stück für Stück gegen einen Mercedes ausgetauscht. Die Behauptung, man habe in dieser Marke eine gewisse Widerstandsfähigkeit sowie ein Aufbegehren gegen das Vergängliche gefunden, welches die amerikanischen Automobile vielleicht hatten vermissen lassen, mag verlockend sein. In jedem Fall aber vermissten die Menschen angesichts der immer größeren Präsenz des Todes in ihrer Umgebung diese Eigenschaften in ihrem privaten Leben. In Wahrheit kreiste das Lob, das sie den deutschen Automobilen zuteil werden ließen und immer noch lassen und das auch den BMW mit einschloss – und in einer anderen Liste, die den Tod und seine Werkzeuge betrafen, den legendären »Colt 12« –, zuerst und zuletzt um die Widerstandsfähigkeit und die jahrelange Haltbarkeit. So verstieg man sich etwa zu der Behauptung, dass ein gut gewarteter Mercedes-Lieferwagen länger lebe als ein Mensch. In diesem Lob kamen die Vorzüge einer funktionierenden Mechanik und eine allgemeine Bewunderung für die deutsche Nation zusammen, die der Welt im Zweiten Weltkrieg die Stirn geboten hatte – trotz der Niederlage am Ende Grund genug, stolz zu sein …
Die Bewohner des Dorfes hegten eine einmütige Bewunderung für den Mercedes, so kann man durchaus behaupten, welcher sie in der ihnen vertrauten Sprache des Krieges Ausdruck verliehen: Wenn der Mercedes am Kopf getroffen wird, fährt er einfach weiter; oder: Wenn er im Fliegen beschossen wird, braucht er drei Jahre, bis er auf die Erde fällt; bis hin zu weiteren Metaphern, die die Schwärmereien der Menschen auf das Blech projizierten. Wer seine Loyalität zum Mercedes beibehielt, wurde indes schwer enttäuscht, als er nach zwei oder drei Jahrzehnten feststellen musste, dass das widerstandsfähige Blech langsam, aber sicher durch Glasfasern ersetzt wurde und dass der ehemals schwere Mercedes mit seinem berühmten Mercedesstern nun einen Hang zur
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