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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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verwandelt, deren sich sogar jene rühmten, die zum Zeitpunkt der Tat noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt hatten.
    Sie brachten uns auch bei, einen »Hurrikan« – das Emblem der Partei in Form eines Feuerballs – mit Kohlestückchen oder Kreide auf die Mauern zu malen. Wenn genau in jenem Augenblick einer ihrer »Genossen« vorüberging, unterbrachen sie ihre Unterweisung, hoben die rechte Hand und drehten sie in einer militärischen Geste nach außen, um dem anderen einen knappen Gruß zu entbieten, der von einem ebenso kurz und knapp gebellten »Es lebe Syrien« begleitet und von dem Genossen eilfertig erwidert wurde. Sie brachten uns auch immer wieder hocharabische Sätze zu Gehör wie »Ihr seid die Söhne des Lebens« oder Wörter wie »Integrität« und Wendungen wie »die Wahrheit, das Gute und die Schönheit«. Dass unseren Kameraden im Viertel bei diesen Ausdrücken, deren Bedeutung sich unserem Verständnis entzog, Tränen in die Augen traten, wunderte uns, denn uns erinnerten sie eher an die Sprache des Buches aus dem Religionsunterricht oder an die trockenen und rätselhaften Briefe des heiligen Paulus.
    Als die Familie Râmi sich in den Zug der nasseristischen Revolution und der Vereinigten arabischen Republik einreihte und die Samaani-Familie für den Präsidenten der Republik Camille Chamûn und seine Allianz mit den Amerikanern Partei ergriff, fühlten sich die Anhänger des »Fruchtbaren Halbmondes« isoliert. Es war ein Projekt, auf das sich die syrischen Nationalisten versteift hatten – ohne allerdings zu vergessen, dem Halbmond die Insel Zypern als Stern hinzuzufügen. Einige wenige unserer Freunde aus dem Viertel waren nun verunsichert darüber, welchen Weg sie einschlagen sollten. Die »Schwächlinge« unter ihnen fügten sich ihren Familien, und das Glück, so könnte man sagen, war jenen hold, bei denen die Anschauung der Familie mit der der Partei korrespondierte. Zwei oder drei junge Männer der Râmi-Familie aber beschworen ihr Unglück herauf. Sie stellten sich gegen ihre Familien, und einer von ihnen soll gar in den gegnerischen Reihen der Revolution gekämpft haben, wenn auch an einer weit vom Dorf entfernten Front.
    Die Kommunisten hingegen hielten sich von unserem von Blutrache und Härte geprägten Verhalten ein wenig abseits. Vielleicht blieben sie aus diesem Grund eine kleine Minderheit der Anständigen und Vernünftigen. Doch auch sie hatten ihre geheimnisvollen Slogans, die sie, nachdem sie die Texte von Stalin gelesen hatten, ständig im Munde führten. Diese Schriften, in denen es um die Dialektik und den historischen Materialismus ging, hatte man in aller Eile ins Arabische übersetzt und kostenlos an sie verteilt. Ihr Emblem war weniger geometrisch als das der Nationalisten und irgendwie greifbarer, auch wenn im Libanon kaum Weizen wuchs und wir bei uns bisher nur wenige Sicheln gesehen hatten und einen Hammer von diesen Ausmaßen gar nicht kannten, sondern lediglich jenen, mit dem der einzige arabische Schmied des Dorfes das heiße rote Eisen schlug. Eine ihrer wenigen Leistungen bei uns war, eine Petition gegen die Atombombe zu unterzeichnen, und zu ihren bleibenden Hinterlassenschaften gehört bis heute der Name »Wladimir« – der Vorname des Führers der Oktoberrevolution –, nach dem einer der Söhne der Mitglieder der Internationale benannt wurde. Immerhin mag Wladimir aller Wahrscheinlichkeit nach wohl eine kleinere Bürde sein als Adolf. So hatte einer der wenigen Anhänger des Nationalsozialismus seinen ältesten Sohn genannt, der in seiner Kuriosität dem Namen Daladier des Ministerpräsidenten von Frankreich, der das Abkommen von München unterzeichnet hatte, allerdings in nichts nachstand.
Der DeSoto
    Das neue Auto, »die Agentur«, erkennt man an dem Geruch seiner Ledersitze. Du fährst damit vorsichtig durch enge, gekrümmte Straßen zum Notre-Dame-Viertel, wo du mit der Stoßstange an die Kirchmauer stößt. Du unterstellst es dem Schutz der Jungfrau Maria und hängst über den Vorderspiegel eine blaue Perle gegen den bösen Blick, genau solch eine Perle, wie man sie den Pferden um den Hals hängt, mitunter auch ein Hufeisen, was aber gar keinen Unterschied macht.
    Das Automobil war zu Beginn der fünfziger Jahre auf die Liste jener Dinge gesetzt worden, die ein Mann sich nicht ausleihen konnte, wie etwa auch die Ehefrau und das Gewehr. Dem Recht des Mannes auf sein eigenes Auto lag eine in der Mechanik begründete Rechtfertigung zugrunde,

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