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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Schultern. Die Koffer von Louis Vuitton, einen schwitzenden Gepäckträger im Schlepptau. Das Gesicht mit den kräftigen Wangenknochen trat umso ausgeprägter hervor, als ihr glattes Haar streng nach hinten gekämmt war. Sie war eine auffallende Frau – und wirklich schön. Das Herz wurde mir schwer. Natürlich hatte Silver recht gehabt. Sie war nicht die Frau aus dem Museum. Sie sahen sich nicht einmal ähnlich. Außerdem war sie nicht mehr blond, sondern trug einen lohfarbenen Ton. Ich sah an mir herunter, wie ich da in meinen abgeschnittenen Shorts stand, und fragte mich nervös, wann ich meine wirren Locken das letzte Mal gewaschen hatte. Doch ich zwang mich dazu, ihr in den Weg zu treten, bevor sie an der Rezeption war.
    »Agnes?«, fragte ich mit zitternder Stimme. Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf. Sie war kleiner als ich, aber in ihren Stöckelschuhen hatte sie natürlich trotzdem einen Vorteil. Ihre schwarzen Lederschuhe waren so teuer, dass ich das Rind praktisch noch muhen hörte, während es über die saftig grüne Wiese trottete, um demütig für Agnes zu sterben. Sie sah mich an, blieb stehen und warf den Kopf in den Nacken wie ein Kakadu.
    »Sie müssen Jessica sein«, sagte sie nach einer wohlberechneten Pause. Sie schob die Sonnenbrille hoch ins Haar. »Hier hätte ich Sie nun nicht erwartet.« Sie war kühl wie ein Dezembermorgen, obwohl sie erschöpft wirkte. So graziös wie möglich streckte ich ihr meine Hand hin, doch innerlich zitterte ich wie Wackelpudding. Meine Rivalin, dachte ich unbehaglich, als sie ruhig meine Hand ergriff. Ihre Haut war sehr kühl und trocken. Ich war sicher, dass ich mich verschwitzt anfühlte. Der Gepäckträger überschlug sich fast, als er ihr ihren Trolley abnahm, nachdem sie mir vorgeschlagen hatte, an die Bar zu gehen.
    Sie schwankte auf den lächerlich unbequemen Barhockern. Vornehm, aber frostig bestellte sie einen Manhattan. Ich wollte Wasser, schwenkte aber in der letzten Sekunde auf Wodka um. Ich kämpfte um meinen Verstand wie eine Spinne, die verzweifelt versucht, den Rand der Badewanne zu erreichen, bevor das Wasser sie einholt. Ich sah Agnes im Bett mit Mickey, sah, wie er ihr die hauchdünne Unterwäsche vom Leib riss, wie ihre geschmeidigen Körper sich umeinander wanden. In meinem Kopf hallten Paulines Worte wider. Ich fühlte mich, als hätte mich jemand ins Gesicht geschlagen.
    Agnes zündete sich eine Zigarette an, ohne mir eine anzubieten. »Also, was ist mit Mickey los? Ich hörte, er hatte einen Unfall, aber es geht ihm doch gut?« Sie inhalierte tief.
    »Er wurde angegriffen. Unser Sohn wurde …«Ich versuchte, die Worte glatt herauszubringen, ohne sie abzuwürgen. Und ich würde nicht husten, während ich den Rauch ihrer Zigarette einatmete. »Gekidnappt«, brachte ich schließlich heraus. Ich hatte dieses Wort noch nie laut ausgesprochen. Meine Hände, die ich zwischen den Knien versteckt hielt, klammerten sich aneinander.
    »Mein Gott!«, sagte sie und erbleichte. Jetzt sah sie wirklich schockiert aus. Sorgsam klopfte sie die Asche der Zigarette im Aschenbecher ab. Der Wodka schoss direkt in mein armes, vollkommen erschöpftes Gehirn.
    »Das tut mir wirklich leid. Ich hatte Ihre Nachricht nicht ganz verstanden. Ein Polizeibeamter hat mich vor ein paar Tagen angerufen. Ein Inspector Silver? Er wollte herkommen und mit mir sprechen.« Sie inhalierte wieder. In meinem beginnenden Wodkarausch sah ich sie jetzt, wie sie sich im Bett mit Silver wand. Agnes sah aus wie der Typ Frau, der sich windet. Unvermittelt schüttelte ich den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.
    »Geht es Ihnen gut? Geht es …« Zum ersten Mal hörte ich sie zögern. Sie sprach ein bisschen seltsam jetzt, geziert, wie geglättet. »Geht es Mickey gut?« Sie sah mich eindringlich an. Ihre Iris wirkte grau und hart wie bei einer Katze. Ich hasste Katzen … sie nahmen mir die Luft.
    »Es geht mir gut, danke. Ich mache mir nur Sorgen um das Baby. Und um meinen Mann, natürlich.« Ich hatte das »meinen« ein bisschen betont.
    Sie zuckte mit den eleganten Schultern. »Mickey, er ist eine Kämpfernatur. Vermutlich wird er es überstehen. Zumindest bete ich, dass er das tut.«
    Ja, das glaube ich dir aufs Wort.
    Sie nippte an ihrem Drink, und ich merkte, wie sie einen Blick auf die Uhr hinter mir warf. Sie war kalt wie Eis und genauso spröde. Ihre Nägel waren elegant gefeilt, doch ihre Maniküre war nicht ganz perfekt. Ich musste es einfach

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