Morgen früh, wenn Gott will
arbeiten. Ich glaube, er hat das Ganze nur arrangiert, weil er …«
»Was?«
»Es ist schwierig, vollkommen ehrlich zu Ihnen zu sein, Jessica. Es geht um meine Gefühle. Das ist doch ziemlich intim.« Sie sprach meinen Namen aus, als würde ihr dabei schlecht.
»Versuchen Sie es«, schlug ich vor.
Wieder zuckte sie mit den Schultern. Ihre Haltung war tadellos, aber irgendwie spürte ich die Angst dahinter. Sie sah weg, zu einem Tisch mit lachenden Anzugjungs. Einer von ihnen zwinkerte ihr anzüglich zu. Sie nahm es auf wie eine Frau, die an Aufmerksamkeit gewöhnt ist. Sie kassierte den ihr zustehenden Tribut. Einen Augenblick lang hatte ich den Eindruck, als glitzerten in ihren grauen Katzenaugen Tränen, aber wenn dem so war, dann hatte sie sie verflixt schnell wieder weggeblinzelt. Ich lächelte ihr beinahe ermutigend zu.
»Nun, ich glaube, Mickey hat sich für Sie entschieden, nicht wahr? Aber er wusste … er fühlte ja meinen Kummer. Also verabredeten wir uns zum Abendessen, als ich letztes Mal in seinem Büro war. Aber dann änderte er seine Meinung. Er will jetzt für die Familie da sein, sagt er. Sie tun ihm leid.« Jede Spur von Mitgefühl, die ich eben noch für sie empfunden hatte, löste sich in dieser Sekunde auf. Mein Herz sank wieder in den Keller, während langsam mein Lächeln erstarb. »Und deshalb hat er abgesagt.«
»Ich soll ihm leidtun?«, plapperte ich ihr nach.
»Immerhin hatten Sie doch diese – wie heißt das doch gleich – postnatale Depression, oder?«
»Nein, eigentlich nicht.« Aber sie wusste, dass ich log. Verächtlich sah sie mich an. »Na ja, ich verstehe sowieso nichts davon. Ich habe keine Kinder.«
Ich sah sie da sitzen in ihrem Glanz, in ihrer ganzen zeitraubenden Schönheit. »Was Sie nicht sagen.«
»Das ist nicht mein Ding«, schnurrte sie und sah mit milder Bosheit an mir hinauf und hinunter. Ich biss mir auf die Zunge. Ja, von Opfern weißt du nichts, dachte ich, mit deinen Prada-Klamotten und deinen Platin-Kreditkarten. Aber ich blieb still. »Wann haben Sie diese Verabredung getroffen?«, drang ich weiter in sie. Ich wollte nur die Fakten und dann so schnell wie möglich verschwinden.
»Ich erinnere mich wirklich nicht, Jessica. Irgendwann, als ich zum letzten Mal in London gearbeitet habe.«
»Warum haben Sie ihn da aufgesucht?«
»Ich musste etwas unterschreiben, was den Verkauf eines Grundstücks betraf, das wir gemeinsam gekauft hatten.«
Ich starrte sie an. Sie starrte zurück. »Gut, wenn Sie es denn wissen wollen. Ich wollte ihm sagen, dass wir zusammengehörten. Und so ist es auch, das wissen Sie. Aber er … ich glaube, er … will nicht noch eine kaputte Ehe. Nicht schon wieder.«
Wie großzügig. Ich wagte nicht, den Mund aufzumachen, weil ich Angst hatte, grob zu werden. Sie strich ihren Pferdeschwanz glatt. Ihr Haar war immer noch so glatt wie auf dem alten Foto. Dann sah sie auf die juwelenverzierte Uhr. Auch ich zupfte an meinen Haaren herum. Dann fiel mir ein, dass meine Achselhöhlen zu sehen waren, die ich sicher seit Tagen nicht rasiert hatte. Also legte ich die Arme möglichst eng an. Wobei das eigentlich wenig Sinn hatte, denn wir beide waren so grundverschieden, dass jeder Vergleich ins Leere laufen musste. Bestimmt stand auf dem Feuerzeug: »In Liebe. Für immer. Mickey«. Aber es lag leider so, dass ich die Gravur nicht lesen konnte.
»Wenn das alles ist: Ich bin wirklich unendlich müde, und ich habe wenig Zeit. Außerdem ist es schmerzlich für mich, Sie zu sehen. Sie verstehen das doch?«
Zum ersten Mal lächelte sie mich an, und ich begriff mit einem Mal, warum Männer sie anbeteten. Sie beugte sich vor und berührte kurz meine Hand. Unter anderen Umständen hätte auch ich sie bezaubernd gefunden.
»Es tut mir wirklich leid für Sie. Und für Ihr Baby. Es ist alles ganz schrecklich. Aber vielleicht kommt ja alles bald in Ordnung. Ich hoffe, Sie haben ihn bald zurück. Die britische Polizei ist meiner Meinung nach wirklich sehr gut.« Bedächtig sah sie erneut auf die Uhr. »Also. Ich bin nur eine Nacht hier. Und ich habe eine Menge zu tun. Viele Meetings, wissen Sie.« Sie seufzte und drückte die Zigarette aus. »Außerdem werde ich diesen Silver wohl auch noch sprechen müssen.«
»Fein«, sagte ich steif. Was hätte ich auch sagen sollen? »Jedenfalls vielen Dank, dass Sie sich für mich Zeit genommen haben.« Ich hörte mich an wie ein Schulmädchen. Innerlich zuckte ich zusammen, als sie dem Barmann winkte, um die
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