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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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angekommen war, hatte sich Mickeys geheimnisvolle Besucherin schon in nichts aufgelöst. Schwester Kwame hatte die Frau selbst auch nicht gesehen. Den Besucher von letzter Nacht beschrieb sie als dunklen Typen, der verschwitzt aussah. Was mir natürlich das Herz schwer machte. Die Schicht der Krankenschwester, welche die Frau eingelassen hatte, war vorüber. Sie war offensichtlich nicht zu erreichen, wie sehr ich auch darauf drängen mochte. Frustriert biss ich mir auf die Lippen, während ich in Mickeys Krankenzimmer auf und ab marschierte. Nach einer gewissen Zeit konnte ich die Anspannung nicht mehr ertragen und ging hinaus, um frische Luft zu schnappen. Draußen war es immer noch sehr schwül, also fasste ich in die Tasche, um den Inhalator hervorzuholen. Stattdessen fiel mir Agnes’ Nummer in die Hand. Einen Augenblick lang starrte ich sie an, dann holte ich mein neues Handy aus der Tasche und tippte die Nummer ein. Es läutete, wie es immer läutet, wenn man im Ausland anruft. Sie ging nicht ran. Ich hinterließ eine Nachricht auf der Mailbox. Ich sagte, ich sei Mickeys Frau. Ich wüsste nicht, ob sie es schon gehört habe, aber Mickey sei krank, und unser gemeinsamer Sohn würde vermisst. Daher würde ich sie bitten, mich zurückzurufen. Dann wurde mir bewusst, dass ich meine neue Telefonnummer nicht kannte, also musste ich sie ein zweites Mal anrufen. Dann ging ich wieder hinein und hörte mir weiterhin Mickeys Stammeln an, während ich seine eiskalte Hand streichelte.
    Als ich das Krankenhaus verließ, war es später Nachmittag. Draußen war es eher heißer als vor dem Regen. Als ich mein Telefon wieder anschaltete, meldete es, dass ich zwei neue Nachrichten erhalten hätte. Eine davon war von Robbie, der mich bat, ihn zurückzurufen. Die andere war eine kühle, fremde Stimme, die ich noch nie zuvor gehört hatte. Agnes. Sie hörte sich genauso an, wie ich mir das vorgestellt hatte: transatlantisch, glamourös. Sie sei gerade in Heathrow gelandet, meinte sie, und auf dem Weg ins Sanderson Hotel in London zu irgendeinem geschäftlichen Treffen. Wenn ich mit ihr reden wolle, solle ich sie auf dem Handy anrufen.
    Deb wartete auf dem Parkplatz und bezahlte die Parkgebühr. Ich dachte nicht eine Sekunde lang nach. Ich lief an den Straßenrand und winkte ein Taxi heran. Bevor Deb mich noch sehen konnte, war ich auf dem Rücksitz verschwunden.
    Von meinem kurzen Ausflug in die Oper an jenem Tag, als mein Sohn noch in Sicherheit war, einmal abgesehen, war ich seit Monaten nicht mehr in der Innenstadt gewesen. All der Lärm, die schiere Menge der Menschen, die rot-weißen Absperrbalken für die Straßenarbeiten trafen mich in gewisser Weise unvorbereitet. Andauernd heulte eine Sirene auf. Wie in New York. Mein Taxifahrer war rund wie eine Billardkugel, sein haarloser Kopf sah aus, als habe er ihn frisch gepudert, so wenig glänzte er. Er wollte sich unbedingt mit mir über den Terrorismus unterhalten. Ich nickte höflich zu seinen Sätzen und dachte dabei über Agnes nach. Was zum Teufel sollte ich zu ihr nur sagen. »Versuchen Sie, mir meinen Ehemann abspenstig zu machen?« Das war als Einleitung vielleicht nicht so ganz gelungen.
    Als ich am Sanderson ausstieg, das einem düsteren, alten Büroblock nicht unähnlich war, sagte der Fahrer: »Kein Trinkgeld, Madam. Nicht in diesen Zeiten.« »Was für Zeiten?«, hätte ich beinahe gefragt. Natürlich gab ich ihm doch ein Trinkgeld, bevor ich in meinen Flip-Flops ins Hotel schlappte. In den runden Empfangstisch waren Aquarien integriert. Seltsame Fische glotzten mich an, als ich das makellos aussehende Mädchen dahinter nach Agnes fragte – und im selben Moment merkte, dass ich nicht wusste, wie sie mit Nachnamen hieß. Ich versuchte es mit »Finnegan«, aber eine Person dieses Namens war nicht im Sanderson abgestiegen. Bedauerlicherweise wusste ich auch nicht, für welches Unternehmen sie arbeitete. Mittlerweile sah mich das Mädchen trotz meines höflichen Lächelns an wie etwas, das der stammbaumbewaffnete und preisgekrönte Sanderson-Hund angeschleppt hatte. Sie wusste, dass ich nicht in diese Welt gehörte. Die Lobby war voller Menschen, die gesehen werden wollten und sich die größte Mühe gaben, so zu tun, als wollten sie ebendies nicht. Ich stach heraus – das klassische schwarze Schaf eben.
    Ich wollte Agnes gerade anrufen, als ich sie durch die Tür treten sah. Die Frau von Mickeys Foto. Ein weißes Jackett über den gebräunten, formvollendeten

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