Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
Vom Netzwerk:
jetzt wissen.
    »Aus welchem Grund haben Sie sich mit ihm getroffen?«, fragte ich mit äußerster Höflichkeit. Dieses Mal war sie es, die sich beinahe verschluckt hätte. Sie hustete, ein klassischer Raucherhusten. Als sie sich wieder gefangen hatte, sah sie mich an und versuchte erst gar nicht, ihre Verachtung zu verbergen.
    »Wie bitte?« Ihre perfekt gezupfte Braue rollte sich zum Fragezeichen zusammen.
    »Sie haben mich ganz gut verstanden«, sagte ich unverblümt. »Warum haben Sie sich mit Mickey in Verbindung gesetzt?«
    Sie wollte protestieren, doch ich schnitt ihr das Wort ab. »Ich weiß, dass es von Ihnen ausging, also machen Sie sich erst gar nicht die Mühe, es zu leugnen. Pauline hat es mir erzählt.«
    Ein sardonisches Lächeln malte sich auf Agnes’ Zügen. Mit dem Finger strich sie um ihre Lippen, auf denen das Lipgloss schimmerte. Dann sog sie den Atem durch die Nase wie ein alter Drache. »Ach, Pauline, die niedliche Lesbe.« Ein weiterer Atemzug. Dann: »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    »Ja, das will ich wissen.«
    »Dann fragen Sie doch Ihren Ehemann.«
    »Das geht nicht. Er liegt im Koma.« Sie wurde erneut bleich. »Deshalb frage ich Sie.«
    »Im Koma?«
    »Er ist ohne Bewusstsein.« Ihre Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. Ich nahm ein wenig Druck heraus. »Es geht ihm gut.«
    Einen Moment lang maß mich ihr Blick. »Es war ziemlich hart, Jessica. Darf ich Sie so nennen?« Sie sah aus, als suche sie nach Worten. Immer und immer wieder quirlte sie mit dem Cocktailstick ihren Drink durch. »Wenn man eine Liebe erlebt hat, wie ich sie mit Mickey hatte, ist es schwierig – wie soll ich Ihnen das erklären? ›Sie nicht weiterzuverfolgen‹ wäre wohl der passende Ausdruck.«
    »Weiterverfolgen?« Vor meinem inneren Auge erschien Mickey, wie er in unserem Garten einer lachenden Agnes nachlief. Ich schob meinen Wodka weg.
    »Ja, weiterverfolgen. Er wollte mich nicht in Ruhe lassen.«
    Mein Magen machte einen Sturzflug in die Unendlichkeit. Dann sah ich sie an. Ihre offensichtliche Unruhe ließ mich an ihrer Ehrlichkeit zweifeln. »Sie lügen!«, versuchte ich einen Schuss ins Blaue.
    »Ach ja? Glauben Sie?« Sie stand auf. »Ich will jetzt nicht mit Ihnen sprechen. Es tut mir leid für Sie, aber warum sind Sie hergekommen? Um es mir unter die Nase zu reiben?«
    »Ihnen was unter die Nase zu reiben?«
    »Nun, Sie haben doch jetzt alles, nicht wahr, Jessica? Meinen Mann, mein Haus. Belassen wir es doch dabei.«
    »Agnes«, sagte ich schwach. »Bitte. Ich möchte Sie nicht verärgern. Aber ich muss die Wahrheit wissen. Über Sie und Mickey. Ich muss ein wenig Ordnung in das Chaos bringen, in das mein Leben sich verwandelt hat. Verstehen Sie das nicht? Trinken Sie doch wenigstens noch aus.«
    Widerstrebend setzte sie sich wieder hin und nahm einen kleinen Schluck von ihrem schimmernden Cocktail. Ich spürte, dass sie jetzt eine Entscheidung traf. »In Ordnung. Ich sage Ihnen die Wahrheit, und dann gehen Sie, klar?«
    »Ja«, stimmte ich zu.
    Es war, als wäre das Sicherheitsventil geöffnet worden. »Ich habe versucht, ihn zu vergessen. Ich sage mir selbst, dass ich mit meinem Leben weitermachen muss. Und das geht auch immer eine Weile gut. Aber dann kann ich nicht mehr. Ich muss einfach mit ihm reden. Dann rufe ich ihn an. Ich sage zu ihm: ›Du bist doch jetzt wieder verheiratet? Wie ist deine neue Frau so? Liebst du sie genauso wie mich?«‹
    Ich achtete darauf, mir nichts anmerken zu lassen. Ich zog den Wodka zu mir her. Ach, zur Hölle. Dann goss ich ihn in mich hinein. Ich hielt das Glas so fest, bis es mir weh tat. Die eisige Flüssigkeit tröpfelte langsam meine schmerzende Kehle hinab.
    »Ich habe sogar meine Telefonnummer ändern lassen, damit er mich nicht anrufen konnte. Und ich nicht ständig neben dem Telefon saß.« Deshalb also hatte Silver sie zunächst nicht erreichen können. Sie spielte mit einem teuer aussehenden Feuerzeug. Es trug eine Gravur, die ich nicht lesen konnte. Mein Magen fing zu tanzen an, als der Wodka sich darin zu schaffen machte. Ich schluckte. »Warum haben Sie sich also doch mit ihm getroffen?«
    »Wann?«
    Ich rechnete nach. »Letzte Woche. Am Sonntag. Pauline erzählte mir, Sie hätten eine Verabredung zum Abendessen gehabt.«
    Sie lachte heiser, aber ihre Augen erreichte das Lachen nicht. Sie blieben kalt und flach. »Ich habe mich nicht mit ihm getroffen. Ich bin in New York geblieben. Er rief mich einige Tage vorher an und sagte, er würde

Weitere Kostenlose Bücher