Morgen früh, wenn Gott will
sind, Kindchen«, wiederholte er. Mir rutschte das Herz in die Hose. »Wir glauben … nun, wir müssen zunächst vorsichtig abwägen, ob an dieser Sache etwas dran ist. Bitte, machen Sie sich darauf gefasst, dass es sich nur um einen üblen Scherz handelt, Jess.«
Schweigen. Langes, tödliches Schweigen. Mir war innerlich ganz kalt. Er fuhr fort: »Ich sehe keinen Grund, weshalb man ausgerechnet jetzt eine Lösegeldforderung stellen sollte. Trotzdem sollten Sie mit Ihrem Mann darüber sprechen, wie Sie das Geld aufbringen. Besser, wir sind vorbereitet, falls sich die Dinge zuspitzen sollten.«
Mit meinem Mann. Wenn sich die Dinge zuspitzen.
»Gut«, sagte ich steif und holte meinen fast leeren Inhalator heraus, den ich mit kurzen, schnellen Stößen drückte. Dann trank ich den Wein aus. »Danke. Das mache ich. Ich rede auch mit meinem Mann.« Dann knallte ich den Hörer auf die Gabel. Ich stand im Wohnzimmer und sah Louis an, der von dem Foto an der Wand auf mich herunterlächelte. »Ich werde dich bald zurückhaben«, versprach ich ihm. »Ich bringe dich heim, und wenn es mich das Leben kostet. Wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
Irgendwo musste es doch einen Hinweis geben, irgendetwas, das bislang übersehen worden war. Die Polizei hatte bereits eine Großfahndung nach Robbie und Maxine ausgeschrieben. Man hatte Gorek zu einer weiteren Vernehmung gebeten, doch irgendwie beruhigte mich das alles nicht. Mir ging ständig im Kopf um, was Mickey gesagt hatte: »Meiner Ex kann man nicht trauen.« Warum nur hatte er das gesagt?
Ich ging nach oben und suchte ihre Nummer. Ihr Handy läutete und läutete, doch sie ging nicht ran, also hinterließ ich ihr eine Botschaft auf der Mailbox mit der Bitte, mich doch zurückzurufen. Schließlich ging ich in Mickeys Arbeitszimmer. Ein tiefer Atemzug, und ich fing an, den Raum zu durchsuchen. Ich suchte nach Spuren von Agnes, von der Geschichte, die sie mit meinem Mann verband. Nichts. Mickey hatte mir einmal erzählt, dass er alles vernichtet hatte. Offensichtlich war das keine Lüge gewesen. Das Foto war wohl das Einzige, was …
Unvermittelt öffnete sich die Tür. Ein langer Schatten legte sich über mich. Ich fuhr zusammen. Doch es war nur Deb, die dastand und mich ansah, wie ich da zwischen Papieren, Ordnern und Tagebüchern saß. Ich kam mir vor wie ein kleines Mädchen, das mit der Hand in der Keksdose erwischt wurde.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte sie. Da wurde mir klar, wie merkwürdig ich aussehen musste – zerrauftes Haar, rotgesichtig, verschwitzt vom vielen Herumräumen, vom Schnüffeln in Mickeys privaten Dingen, in denen ich nach einem Hinweis suchte.
»Ja, es geht mir gut. Danke. Ich suche nur etwas«, sagte ich und versuchte, mir meine Schuldgefühle nicht anmerken zu lassen. Ich strich mir ein paar verschwitzte Haarsträhnen aus der Stirn.
»Dann gehe ich jetzt. Morgen früh bin ich wieder da.« Einen Augenblick lang zögerte sie, als wolle sie noch etwas sagen. »Jessica, zeigen Sie doch ein wenig Glauben! Bitte!«
Ich schnaubte wie ein Pferd. »Glauben! Zum Henker. Sie halten mir jetzt keinen religiösen Erweckungsvortrag, Deb, oder?«
»So habe ich das nicht gemeint«, gab sie zurück, während die Röte ihr Gesicht überzog. »Ich meinte, an uns. Ich weiß, dass es für Sie aussieht, als würden wir uns nicht ordentlich ins Zeug legen, aber wir tun, was wir können. Echt.«
»Durch und durch echt?«, fragte ich mit einem Lächeln.
»Wie bitte?« Ihre Stirn runzelte sich.
»Schwören Sie …?«
»Ich wollte nicht …«
»Ach, lassen Sie doch, Deb. Es ist nur der Wein. Ich habe versucht, einen Witz zu machen.« Nachsichtig lächelte sie und ging zur Tür.
»Deb?«, sagte ich schnell, bevor sie weg war. »Ich … ich bin so dankbar, dass Sie da sind, Deb. Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie getan hätte. Ehrlich.«
Ein wenig verlegen grinsten wir uns an. »Das habe ich doch gerne getan, Jess.«
Im nächsten Moment biss ich mir zwar auf die Zunge, doch leider war mir schon entschlüpft, was ich eigentlich nicht hatte fragen wollen. »Deb?«
»Ja?«
»Haben Sie … Silvers Frau je kennen gelernt?«
Auf ihren Lippen malte sich ein für sie recht unergründliches Lächeln. »Ex-Frau, meinen Sie wohl? Einmal. Sie war sehr – lebhaft. Aus dem Norden eben. Und ganz nett.«
»Oh«, sagte ich. »Aha.« Dabei beließ ich es.
Wieder einmal lag ich schlaflos im Bett. Ich wollte einfach keine Tabletten nehmen. Immer wenn ich die Augen schloss,
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