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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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sah ich Louis in den Armen einer anderen Frau. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf. Doch dann lief vor meinem inneren Auge
    immer wieder die Szene mit Silver ab, sosehr ich sie auch wegschieben mochte. Ich wusste, dass es falsch war, und doch hatte es sich richtig angefühlt. Als ob man sich im Zustand vollkommener Erschöpfung endlich fallen lassen kann. Man ist dort angekommen, wo man hingehört, und kann sich entspannen. Endlich Frieden. So hatte ich mich gefühlt, als Silver mich geküsst hatte. Endlich die Aussicht auf Frieden.
    Ich drehte mich auf den Bauch und suchte auf meinem Kissen nach einer kühlen Stelle. Im Geist schrieb ich Silvers Namen und dachte sehnsüchtig an Louis. Plötzlich kam mir eine Idee. An einer Stelle hatte ich noch nicht nachgesehen. Ich setzte mich im Bett auf, stand auf und tappte vorsichtig auf den Treppenabsatz hinaus.
    »Shirl?«, sagte ich, während ich leise an die Tür ihres Zimmers klopfte. Nichts zu hören. Ich klopfte lauter.
    Ein Grunzen. »Wasnlos?«
    »Shirl, hör mal. Ich muss …« Ich steckte meinen Kopf zur Tür hinein. »Ich brauche deine Hilfe. Entschuldige bitte, aber würde es dir etwas ausmachen …?«
    Grummelnd schaltete sie das Licht ein und stand auf. Ihre Afrofrisur wirkte mehr denn je wie der kugelrunde Kopf eines Löwenzahns im Schirmchenstadium.
    »Kannst du mir helfen, die Leiter herunterzuholen? Ich muss auf den Speicher.«
    »Jessica, es ist …« Sie schielte auf ihre Uhr. »Ein Uhr morgens. Kann das nicht warten?«
    »Nein, kann es nicht.« Ich trat von einem Fuß auf den anderen.
    »Gut«, antwortete sie, breit gähnend, sodass ihre Goldfüllungen sichtbar wurden. »Aber auf den Speicher gehe ich nicht. Sobald du oben bist, verkrümle ich mich wieder, alles klar?« Leise maulend stieg sie auf den Stuhl, den ich hielt, und stellte sich auf Zehenspitzen. Dann fasste sie nach oben und zog die
    Leiter herunter. »Ich setze mich jedenfalls nicht mitten in der Nacht auf den Speicher – für niemanden. Und komm dann ja nicht an und beschwer dich über Geister oder ähnlichen Unsinn. Du bist dort oben auf dich allein gestellt.«
    »Das werd ich nicht. Ich verspreche es.«
    Aber natürlich ließ sie mich nicht alleine hinaufklettern. Oben angekommen legte sie sich auf einen alten Teppich, ihre langen Beine elegant darüber drapierend, während sie sich bemühte, wach zu bleiben. Innerhalb weniger Minuten schnarchte sie selig, während ich Mickeys säuberlich gestapeltes Depot durchfilzte. Um ehrlich zu sein war ich froh, dass Shirl da war. Ich war vorher noch nie auf dem Speicher gewesen. Mickey hatte ein paar Sachen von Louis hier verstaut, aus denen er herausgewachsen war. »Für das Nächste«, hatte ich fragend gesagt, während ich auf dem Treppenabsatz stand. Mickey hatte nur gelächelt.
    Eine halbe Stunde verging, und die einzige Ausbeute meiner Suche waren rußgeschwärzte Hände und Spinnweben im Haar. Schließlich – ich war schon drauf und dran, die ganze Aktion als sinnlose Zeitverschwendung abzutun – entdeckte ich etwas, das die ganze Herumwühlerei doch noch rechtfertigte. Eine Schachtel mit einem Lederordner, auf dem in Blattgold die Initialen A. F. prangten. Angeberische Kuh. Und wie fein säuberlich alles abgeheftet war. Mein Herz schlug wie verrückt, als ich ihn mit zitternden Fingern durchblätterte. Enttäuscht bemerkte ich bald, dass der Inhalt recht banal war. Kreditkartenabrechnungen von teuren Geschäften wie Harvey Nichols und Selfridges. Ein paar Abrechnungen von Pensionsfonds. Ein Zeugnis über eine Fortbildung, die sie absolviert hatte. Ganz hinten fand sich eine Krankenakte. Nicht entzifferbare Notizen von einem Gynäkologen in der Harley Street, die ich nicht verstand. Ein Heftchen mit Ratschlägen zur nachoperativen Genesung. Die Agnes offensichtlich in einem exklusiven Wellness-Bad hinter sich gebracht hatte. Stirnrunzelnd stopfte ich alles zurück in die Plastikhüllen. Dann weckte ich Shirl so sanft wie möglich und folgte ihr die Leiter hinunter, um mich wieder schlafen zu legen.
    Wieder erwachte ich zu der Zeit, zu der Louis gefüttert wurde. Ich war noch immer ganz auf seinen Rhythmus eingestellt. In der Küche setzte ich Wasser auf und starrte den toten Körper einer Fliege an, die neben der Keksdose gestorben war. Mitten im Flug, wie es aussah. Jean hatte Urlaub, dennoch hatte irgendjemand Louis’ Sachen aus der Küche weggeräumt.
    Verschlafen räumte ich auf dem Küchentisch Platz für die Kaffeetasse frei.

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