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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Überall lagen Briefe, Rechnungen, Zeitschriften herum. Mickeys Ordner mit den zuletzt einsortierten Fotos fiel herunter und klappte auf. Als ich ihn aufhob, blätterte ich ein wenig in den Kontaktabzügen herum. Kleine Cottages an der Klippe. Ein alter Leuchtturm. Ein lachendes Paar, das Hand in Hand eine schmale Landstraße hinunterging. Ich sah das Mädchen an. Sehr lang und dünn. Blondes Haar flatterte hinter ihr im Wind. Das Mädchen. Ich ließ die Kaffeetasse fallen, wobei ich mir die Hand verbrühte. Verblüfft blinzelte ich.
    »Zum Henker, das glaub ich einfach nicht.« Wieder sah ich hin. Kein Zweifel. Das Mädchen mit dem flatternden Haar. Das war die Frau aus der Tate Gallery.
    Meine Hände zitterten. Ich rief sofort im Krankenhaus an. Dort sagte man mir, Mickey würde schlafen, und weigerte sich, ihn zu wecken. Keine Besucher vor neun Uhr. Ich kannte doch mittlerweile die Regeln, oder? Also suchte ich Paulines Nummer. Ich ließ es läuten und läuten. Mindestens fünf Minuten lang. Dann legte ich auf und rief noch mal an. Schließlich nahm Freddie ab, verschlafen und mürrisch. »Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich glaube, sie hat ihr Handy hier vergessen. Versuchs im Büro. Sie ist ohnehin schon wieder total eingedeckt mit Arbeit.«
    Aber als ich anrief, waren die Telefone in Mickeys Büro noch auf Anrufbeantworter geschaltet. Ich sah auf die Uhr. Es war erst sieben. Also zog ich mir etwas über und fischte die Schlüssel zu Shirls alter Kiste aus ihrer Jacke. Ich hinterließ ihr eine hingekritzelte Notiz, stopfte den Ordner mit den Kontaktabzügen in meine Tasche und fuhr in die Stadt.
    Es war früh, aber nicht früh genug, um der Londoner Citymaut zu entgehen. Ich fluchte im Stillen und erklärte unserem Bürgermeister, dass ich in polizeilichen Angelegenheiten unterwegs sei, weswegen mir eigentlich eine Gebührenbefreiung zustünde. Dann trat ich aufs Gas.
    Soho erwachte gerade, träge wie die weißschenkligen Mädchen, die nur wenig später die Eingänge zu den spärlich beleuchteten Clubs flankieren würden. Ich ließ den Wagen stehen und machte mich zu Mickeys Büro in der Wardour Street auf. Als ich an dem Striplokal an der Ecke vorbeikam, wurde mir erst bewusst, dass ich verdammt nahe an der Absteige des Generals war. Sein wachsbleiches Gesicht geisterte immer noch durch meinen Kopf. Wenn ich an ihn dachte, überschwemmte mich eine Welle des Abscheus. Mit Entschiedenheit schüttelte ich den Kopf. Ich wollte jetzt nicht an ihn denken. Ich läutete an der Tür zu Mickeys Büro. Nichts. Niemand antwortete. Ich verfluchte meine Überstürztheit, mehr aber noch den Fahrer der Straßenkehrmaschine, der mich mit Wasser besprengte, während er wie ein Babyelefant die Straße hinauffuhr.
    Ich wollte schon wieder weggehen, als eine körperlose Stimme aus dem Nichts drang. Pauline. Vollkommen zerrauft öffnete sie die Tür und ließ mich in das noch leere Büro. Sie hielt eine Kaffeetasse in der Hand und sah aus, als hätte sie die Nacht in der Innenstadt zugebracht. Gekleidet in ein seltsames Cowgirl-Kostüm, das Haar zu Zöpfchen geflochten, scheinbar noch im Halbschlaf. Roch sie etwa auch nach Alkohol?
    »Kann ich dir etwas zu trinken holen, Kleines?«, fragte sie und drängte ein Gähnen zurück, als sie mich in das Großraumbüro ließ. Ich ging an dem Schreibtisch vorbei, an dem ich mein Dasein als Assistentin verbracht hatte. Wie sehr sich die Zeiten doch seitdem geändert hatten, dachte ich nicht ohne eine gewisse Wehmut. Auf dem Bürosofa lag eine Decke. Das Leder zeigte immer noch den Abdruck eines Körpers. Ich sah Pauline an. Ob sie hier übernachtet hatte? War Freddie deshalb so kurz angebunden gewesen?
    Dann öffnete sie die grüne Glastür zu Mickeys Büro und führte mich hinein. Ich holte den Ordner aus meiner Tasche. Dann aber fing mein Herz wieder an, bis zum Hals zu schlagen. An seinen Schreibtisch gelehnt waren nämlich die großen Abzüge der Bilder, die ich in der Tasche trug. Ganz vorne stand in Überlebensgröße diese verdammte Frau. Sie stand in der Tür eines verfallenen Cottage und sah verführerisch über die Schulter zurück.
    »Pauline, wer zum Teufel ist dieses Mädchen?«
    »Entschuldige, wer?« Sie hatte gerade mit dem Fuß den Türstopper festgestellt und sah auf. Dabei verschüttete sie ihren Kaffee. Als sie sah, wen ich meinte, lief sie feuerrot an.
    »Ach, Claudia. Gute Bilder, nicht wahr? Doch wir warten noch auf Mickeys Okay.«
    »Ja, Pauline, aber wer ist

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