Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
Vom Netzwerk:
verschwinden. Dann wäre ich am nächsten Tag einfach abgetaucht und Schluss. Ich weiß nicht, was am Ende schieflief. Ich schätze, ich geriet einfach in Panik.«
    Er sah mich an. Seine Augen glänzten so irre, dass mir schauderte. »Ich war total aufgeregt. Dann trank ich die ganze Zeit Whisky, um alles im Griff zu behalten, aber im Pub gingen dann die Nerven mit mir durch. Den Rest weißt du ja. So bin ich auf der Intensivstation gelandet.«
    »Geschah dir ganz recht«, zischte ich.
    Er seufzte. »Ja, natürlich. Und als ich dann wieder zu mir kam, war ich mit deinem Kummer konfrontiert. Da wurde mir erst klar, wie verrückt die ganze Idee war. Ich versuchte, es Agnes zu sagen. Ich sagte ihr, dass wir alles rückgängig machen und dir Louis zurückgeben müssten. Doch sie hörte nicht auf mich. Und ich lag ja in dem verdammten Krankenhaus.«
    »Hast du wirklich das Gedächtnis verloren?«
    Auch jetzt sah er beschämt drein.
    »Also nicht?«
    »Nein«, gestand er. »Nicht wirklich. Ich habe nur versucht, Zeit zu schinden. Ich wollte ja Agnes dazu bringen, dir das Baby zurückzugeben. Doch sobald sie ihn hatte, war sie total hin und weg. Da wurde mir klar, dass sie nicht tun würde, was ich sagte. Sie liebte das Baby mehr als mich.«
    »Wie tragisch für dich«, sagte ich höhnisch.
    »Ja, nun. Jeder Mensch hat seine Grenzen, nehme ich an.« Im Grunde war dies eine Frage.
    Ich ließ mich wieder auf die Bank fallen. Einige Zeit lang saßen wir schweigend nebeneinander. Er ließ zu, dass ich die Hand ausstreckte und das Haar meines Sohnes glatt strich, wo der Wind es zerzaust hatte. Die Kirchenglocke schlug vom nahen Hügel neun Uhr. Ein Mann mit Narbengesicht und Labrador hob seine Kappe und grüßte. Louis bewegte sich. Mickey starrte ins Leere. Nun waren wir endgültig getrennt. So viel war mir mittlerweile klar. Ich selbst hatte es gewusst, tief in mir. Ich hatte mich bereits heute Morgen entschieden.
    »Es tut mir wirklich leid, Jessica«, brach er die Stille. Ich fuhr auf. »Ich weiß, dass das ein verdammtes Klischee ist, doch ich wollte dir wirklich nicht weh tun. Ich habe nur einfach nicht nachgedacht. Du hast immer so stark gewirkt. Ich dachte, du würdest damit fertig. Wie ein Stehaufmännchen. Agnes war immer die Verwundbarere von euch zweien.«
    Ich dachte an Agnes’ Schönheit, ihre äußere Vollkommenheit. Und ihr Unglück.
    »Jetzt weiß ich, dass das Unsinn war. Aus diesem Grund habe ich dir die Videos und das Foto schicken lassen. Damit du wenigstens wusstest, dass er am Leben war.«
    Was hatte er da eben gesagt? »Stark? Warum bilden sich nur alle immer wieder ein, ich sei stark?«
    »Weil du eine Kämpfernatur bist. Du hast nie ein Wort darüber verloren, wie es dir geht. Und du hast nie gesagt, dass du mich liebst. Ich wusste, dass du auch ohne mich zurechtkommen würdest. Agnes … nun, sie trug immer das Herz auf der Zunge.«
    »Ich habe dich geliebt, Mickey. Und wie ich dich geliebt habe. Ich habe es nur nicht gesagt, weil wir … eben nicht so waren. Weil ich … Angst hatte, nehme ich an. Weil ich … stark bin.« In der Ferne blinkten die Hochhäuser von Canary Wharf. Die Sonne tanzte über den rotbraunen Bäumen, die sich wie im Tanz den Hügel hinunter schwangen. Mickey schien wirklich überrascht. Ich dachte kurz an Silver. Vielleicht ist ja kein Mensch so unschuldig, wie er die anderen glauben machen möchte.
    »Das wusste ich nicht«, sagte er leise.
    »Du hast darüber hinweggesehen.«
    »Das ist nicht wahr. Ich schwöre dir, ich habe es nicht gemerkt. Du warst mir immer ein Buch mit sieben Siegeln, das weißt du doch.«
    »Nein, nicht mit sieben. Du hast also …«Ich schluckte. »Du hast mir also alles nur vorgespielt?«
    »Nein, natürlich nicht.« Er sah mich wieder an. »Jessica, als ich dich kennen lernte, ging es mir nicht besonders gut. Aber ich konnte einfach meine Hände nicht von dir lassen. So viel jedenfalls ist sicher.«
    Ich sagte kein Wort.
    »Das weißt du doch?«, hakte er jetzt beinahe ärgerlich nach. »Es ist nur … ich habe dich so knapp nach Agnes kennen gelernt.«
    »Tja, das ist ja wohl offensichtlich.« Der Schmerz, der bislang eher einem Schwelbrand glich, loderte nun auf.
    »Ich meine nur, wenn alles anders gewesen wäre, zu einem anderen Zeitpunkt, und wenn du nicht so schnell schwanger geworden wärst, dann … dann hätte es funktionieren können.«
    Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. »Brich dir nur keinen ab.« Ich hatte

Weitere Kostenlose Bücher