Morgen früh, wenn Gott will
dessen fand ich einen Umschlag an meinem Bildschirm lehnen. Eine Einladung zu einer privaten Ausstellung von Tracy Emin in der Cork Street für denselben Abend. Darauf klebte ein Post-it:
»Wir sehen uns dort um sieben Uhr. Ein festliches Abendessen. Natürlich können Sie auch Ihr Unterkleid anziehen, das überlasse ich ganz Ihnen. M.«
Also ging ich wieder. Ich brauchte dringend einen Kaffee. Mit den Fäusten in der Jackentasche tigerte ich ums Büro herum. Ich war eigentlich nicht gerade der Beziehungstyp. Ich hatte da so meine Erfahrungen. Negativer Natur, versteht sich. Und ausgerechnet mit dem Chef? Der klassische Fehler eben! Vielleicht wollte er auch wirklich nur über Kunst reden … Ich wanderte die Broadwick Street auf und ab, aß ein paar Früherdbeeren, die noch nicht reif waren, und vermied den Blick ins Schaufenster von Agent Provocateur, dem frechen französischen Unterwäschelabel. Vermied jeden Gedanken an Mickeys Lächeln tags zuvor. Was konnte jemand wie er an mir schon finden? Uns trennten Welten.
Doch als ich wieder im Büro war, schützte ich dort wider besseren Wissens Kopfschmerzen vor und ging nach Hause. Bildete ich mir das ein, oder hatte Pauline so einen wissenden Blick an sich? Zu Hause knallte ich mich vor den Fernseher. Ich würde nicht hingehen. Ich trank einen Wodka pur. Dann einen mit Eis. In den zehn Minuten, die mir noch blieben, zog ich die besten Sachen an, die ich für eine Dinnerparty hatte. Voller Angst, dass ich zu spät kommen würde. Dass ich nicht in der Lage sein würde, jenen Glamour aufzubringen, an den Mickey so offensichtlich gewöhnt war. Voller Angst, dass ich mir etwas einbildete, was nur in meinem Kopf existierte.
Als ich – immer noch benebelt – in einem edlen schwarzen Taxi dort ankam, lehnte Mickey lässig an der Wand. Es war viel kälter als gestern, ich fror.
»Hi«, sagte ich scheu. »Tut mir leid, dass ich ein bisschen zu spät bin.«
»Hi«, sagte er ruhig und küsste mich auf die Wange. Dann geleitete er mich hinein. »Die Zöpfe sind niedlich. Und der Mantel sehr hübsch. Sehr Anna Karenina. Obwohl mir der Unterrock besser gefallen hat. In dem Ding sahst du doch sehr beunruhigend aus.«
»Wirklich?« Irgendetwas passierte in meinem Bauch. Ich sagte Mickey nicht, dass ich den Unterrock vor vielen Jahren von meiner Mama geklaut hatte. Ich nahm das Glas Wein, das mir die Kellnerin hinhielt.
»Du hast wie eine Sechzehnjährige ausgesehen.«
»Ach. Und du magst Sechzehnjährige?« Ich warf ihm einen Blick zu.
Er lächelte. Kein grausames Lächeln. Eher das Lächeln eines Menschen, der gewöhnt ist zu bekommen, was er haben will. Trotzdem kein nettes Lächeln. »Nein, so habe ich das nicht gemeint.«
»Was hast du dann gemeint?«
»Weißt du, Jessica …« Ich mochte die Art, wie er meinen Namen in die Länge zog. Ich hielt den Atem an.
»Was?«
»Irgendetwas ist an dir dran, aber ich kann es einfach nicht mit Händen greifen.«
Ich sah seine langen, schmalen Hände an. Der Wodka begann in meinem Blut zu singen. »Woher willst du das wissen?«
»Was?«
»Dass du es nicht mit Händen greifen kannst?« Ich betete, dass er nicht meine Zähne klappern hörte, während der Adrenalinschub mir neue Kühnheit verlieh.
Er lachte. »Du erinnerst mich an mich selbst. Das wird’s wohl sein.«
»Inwiefern? Weil ich so fies und launisch bin?« Cool sah ich auf meine Nägel hinunter, innerlich aber war ich alles andere als cool drauf. Sicher war ich dieses Mal zu weit gegangen. Wahrscheinlich durfte ich mir kommenden Montag meine Papiere abholen. Er aber lachte nur.
»Natürlich bin ich nicht so ganz sicher. Die äußere Erscheinung täuscht mitunter, heißt es. Und du täuschst mich auch, glaube ich. Du siehst aus, als müsste man sich um dich kümmern, aber … nun …«
»Nun?«, wiederholte ich und nahm einen langen Schluck von dem kühlen Weißwein, um meine Nerven zu beruhigen.
»Ich möchte wetten, dass du eine Kämpfernatur bist.«
Ich sah ihm in die Augen. »Ja. Normalerweise gehöre ich zu den Stehaufmännchen.«
»Du bist so anders …«
»Mickey Finnegan, alter Teufel …« Ein rotgesichtiger, dicker Mann schlug ihm auf die Schulter. »Und wer ist dieses fantastische junge Ding hier?«
Ich verschluckte mich fast an meinem Wein, doch Mickey zuckte nicht mit der Wimper. Natürlich stellte er mich auch nicht vor.
»Charles. Bist du schon aus New York zurück?« Ich hörte nur mit halbem Ohr hin, als Mickey mit dem Kunsthändler
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