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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Plastiktüte aus, in der ein gepolsterter brauner Umschlag lag, der so aussah wie diejenigen, die Mickey im Büro benutzte. Mit zitternden Fingern öffnete ich ihn und drehte ihn um, damit der Inhalt herausfiel. Es war ein Pass.

Kapitel 6
     
    Blind presste ich das Dokument an mich, doch Inspector Silver nahm es mir mit raschem Griff aus der Hand.
    »Das brauche ich, Mrs Finnegan«, sagte er sanft. »Sie wissen schon, Fingerabdrücke und all das.«
    »Bitte«, sagte ich. »Ich möchte nur wissen, wem er gehört. Ich verstehe nicht …«
    Er zeigte Mitleid mit mir und schlug die ersten Seiten auf. Ein finster blickender, sehr junger Mickey blickte uns entgegen.
    »Heiterer Zeitgenosse, Ihr Mann?«, fragte Silver, allerdings nicht im Ernst. Ich ließ ihn stehen, ging den Korridor hinunter, weg von meinem bewusstlosen Ehemann. Weg von meiner einzigen Verbindung zu Louis.
    Als ich Mickey kennen lernte, lächelte er wochenlang nicht. Im Grunde hatten wir uns ja auch nicht in dem Sinne »kennen gelernt«. Ich hatte gerade mein Teilzeitstudium am St. Martins College of Art begonnen, und seine Assistentin Pauline hatte mich als Juniorgrafikerin an seiner Seite eingestellt. Ich wusste, dass dies meine große Chance war, war ich doch um Lichtjahre hinter meinen Kommilitonen zurück. Ich hätte alles getan, um mich zu beweisen. Und so krallte ich mich an meinen Computer und sah Mickey zu, wie er im Büro ein und aus ging, wenn er denn im Lande war. Er sagte nie auch nur »Hallo« zu mir. Wenn er wirklich da war, sah ich ihn hinter der Glaswand, wie er die Füße in den handgenähten Schuhen auf den Schreibtisch legte, während seine nervösen Lakaien ihm ihre Arbeiten vorlegten, die er wortlos beurteilte. Seine Begeisterung für eine Sache teilte sich stets seinen Untergebenen mit, seine Frustration allerdings ebenso. Und vor allem sah ich die Mädchen mit ihm flirten, die immer ihre schicksten Sachen trugen, wenn er im Büro erwartet wurde. Meist reagierte er nicht, doch wenn er es tat, wenn sich dieses seltene Lächeln zeigte, dann strahlte sein Gesicht, und ich begriff, was sie in ihm sahen, auch wenn ich dagegen ankämpfte. Der einzige Mensch, bei dem er vollkommen entspannt aussah, war die kecke Pauline. Mit ihr konnte er lachen wie mit keinem anderen Menschen. Seltsamerweise spürte ich eine nagende Eifersucht, als ich einmal Zeugin wurde, wie er nachlässig seinen Arm um ihre Schultern legte.
    Schließlich ließ er mich eines Nachmittags rufen. Ich sollte ihm ein paar Entwürfe von den Sachen zeigen, an denen ich arbeitete. Ich wusste, dass es lächerlich war, doch als ich meine Sachen zusammenklaubte, zitterten meine Hände. Ich hatte so hart für all das hier gearbeitet. Es wäre schrecklich, wenn alles umsonst gewesen wäre. Ich hatte Angst vor Mickey. Vielleicht würde er ja herausfinden, dass ich nur so tat, als ob. Er würde sehen, dass ich nichts taugte und mich sofort vor die Tür setzen.
    Als ich klopfte, telefonierte er. Er winkte mich herein, ich blieb nahe der Tür stehen. Während ich darauf wartete, dass er mir seine Aufmerksamkeit zuwandte, ließ ich den Raum auf mich wirken. Keine Fotos, keine persönlichen Gegenstände, nur eine wunderschöne Orchidee und ein Bild an der Wand, das nach einem Tracey-Emin-Original aussah. Er hängte ein, ohne sich zu verabschieden. Ganz schön grob, dachte ich, war aber im Stillen doch beeindruckt. In der Fernsehserie Dallas hatte ich das auch gesehen, als ich noch klein war.
    »Ich mag Ihre Sachen«, sagte ich und zeigte auf das Bild.
    »Ah ja?« Mickey blätterte die Entwürfe durch, die ich ihm hingelegt hatte. Er sah nicht einmal auf.
    »Allerdings ziemlich kopfgesteuert, nicht wahr?«
    »Ist sie das?«
    »Vermutlich ist es das, was ihrer Kunst das … na, Sie wissen schon … gewisse Etwas gibt.«
    »Wirklich?« Dieses Mal sah er auf und grinste mich an. Lieber Himmel. Von Nahem sah er noch besser aus. Ich plapperte einfach weiter. »Ich mag ihre Art. Auch wenn sie immer ein wenig daneben wirkt.«
    Ich dachte, ich hätte einen Blick von ihm abbekommen, ein fast sehnsüchtiger Ausdruck wanderte über sein Gesicht. »Nun ja, das ist ja eigentlich nicht so schlecht, oder? Daneben zu sein, meine ich.«
    Ich sah ihn an, und er gab meinen Blick ohne Umschweife zurück. Eine Sekunde lang, vielleicht nur den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken. Irgendein Funke des Wiedererkennens leuchtete in diesen dunklen Augen auf. Von diesem Moment

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