Morgen früh, wenn Gott will
Ich bin absolut blank.«
»Was ist mit dem Geld, das Mama dir schicken wollte?«
»Das ist noch nicht da. Da gibt es ein Problem mit dem Bankkonto.«
»Wie hast du denn den Zahn bezahlt?«
Er sah mich entgeistert an.
»Deinen neuen Zahn.« Ich deutete auf das strahlende Etwas.
»Dafür hatte ich noch genug. Ich konnte ja nicht herumlaufen wie irgendein Dödel, Jess. Was würden denn die Mädchen sagen?«
Ich glaubte ihm nicht, trotzdem überkam es mich einfach. Alte Gewohnheit und so weiter. Also öffnete ich die kleine Schublade in meinem Frisiertisch und fischte einen Zwanziger, einen Zehner und ein paar Pfundnoten heraus, die dort zwischen meinen Schmuckbehältern verstreut lagen.
»Hier. Für dich. Nicht für den ›Typen‹«, sagte ich und hielt ihm das Geld hin. Ich konnte ihn kaum ansehen. Mein wunderschöner, kleiner Bruder. Wann zum Teufel waren die Dinge wohl aus dem Ruder gelaufen? Er nahm es. Und sah mich auch nicht an.
»Robbie«, sagte ich. Dieses Mal war ich es, die flüsterte. »Sieh zu, dass du alles auf die Reihe kriegst, Junge, okay? Bitte. Bevor es zu spät ist.«
Leise wie eine Katze schlich er aus dem Zimmer. Er drehte sich nicht um.
Als ich die Treppen hinunterging, läutete das Telefon. Deb kam aus der Küche und ging durch den Flur darauf zu. In jüngster Zeit hatte ich das Telefon hassen gelernt. Jedes Mal, wenn es läutete, fuhr ich zusammen. Jetzt aber rutschte ich über das Parkett, um als Erste dort zu sein. Zu langsam – Deb hatte den Hörer schon in der Hand. Ich entriss ihn ihr, noch bevor sie ihn am Ohr hatte.
»Ist schon in Ordnung, Deb. Ich habe es.« Ich drehte ihr den Rücken zu, spürte jedoch ihren durchdringenden Blick. Sie runzelte die Stirn und ging ins Wohnzimmer, wo der Fernsehapparat alleine vor sich hin plärrte. Tick um Tick stellte Deb ihn leiser.
Wie ich gehofft hatte, war es Pauline mit Agnes’ Handynummer. Ich schmierte sie auf einen Zettel und bedankte mich leise, während Deb versuchte, das Gespräch zu belauschen.
»Wer war das?«, fragte sie, als ich einhängte. Ich zuckte mit den Schultern und schob die Nummer in die Gesäßtasche meiner Jeans.
»Nichts Wichtiges. Eine alte Freundin.«
Sie sah mich eindringlich an.
»Was ist?«, sagte ich so unschuldig wie möglich und eilte davon in die Küche, bevor sie noch etwas sagen konnte. Ich mochte Deb, aber der Himmel wusste, dass ich hier drin schön langsam erstickte. Meine Brust schmerzte. Ich hatte immer noch das Gefühl, ein winziger Korken zu sein, der auf einer Stromschnelle tanzt und tapfer kämpft, um sich über Wasser zu halten, um nicht für immer unterzugehen.
Später im Auto brachte Deb die Rede wieder auf das Telefongespräch. Doch ich drehte einfach das Radio lauter. Eine Sendung über Terrorismus mit einer reichlich hysterischen Moderatorin. Irgendein armer Kerl war versehentlich von bewaffneten Polizeibeamten niedergeschossen worden.
»Auch nicht dazu angetan, das Vertrauen in die Polizei zu stärken, nicht wahr?«, sagte ich. Ich dachte darüber nach, was Robbie gesagt hatte. Über die Polizei, als wir noch Kinder waren. Über Constable Jones, dieses Schwein. Ich wollte mich einfach nicht daran erinnern – diese letzte Entwürdigung, nachdem mein Vater bereits gestorben war. Nicht jetzt. Eigentlich überhaupt nicht mehr. Dann wechselte ich den Sender. Tanzmusik. Ich fühlte mich, als wäre ich hundert. Jedenfalls viel zu alt für Tanzmusik. Trotzdem ließ ich den Sender drin. Deb gab auf.
Nach der üblichen Pressekonferenz brachte man mich in Silvers Büro. Eine gewisse Erregung schien sich seiner bemächtigt zu haben, doch er versuchte, dies nicht zu zeigen. Andererseits war seine Stimmung ansteckend. Er telefonierte mit jemandem und wartete offensichtlich darauf, durchgestellt zu werden. Ich wollte mich nicht mitreißen lassen. Bewusst dachte ich an seine Frau, die seine Hemden bügelte. Zwar wusste ich eigentlich nicht, ob es da überhaupt eine Frau gab, doch ich stellte sie mir am Bügeleisen vor.
Constable Kelly kam herein und reichte Silver eine Akte. Silver blätterte sie durch und legte den Hörer auf. »Ian wird Ihnen alles erklären«, sagte er, während er noch las, und deutete dabei auf Kugelbauch, der wie immer verstrubbelt und erschöpft aussah. Vielleicht leitete er ja die ganze Untersuchung allein. Jedenfalls strich er seine Krawatte glatt – ohne sichtbaren Effekt. Sie sah noch genauso verknittert aus wie vorher.
»Haben Sie irgendwelche Verbindungen nach
Weitere Kostenlose Bücher