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Morgen ist ein neuer Tag

Morgen ist ein neuer Tag

Titel: Morgen ist ein neuer Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eingefallenen, knochigen Gesicht. Die ganze Erscheinung dieses Mannes machte den Eindruck, als würde er vor Hunger gleich lang auf die Straße stürzen.
    Mit einem Seitenblick schwang sich Peter auf sein Rad und strampelte los. Als er um die Straßenecke bog, wandte er sich noch einmal um und sah, daß ihm der Fremde immer noch nachblickte und seine Arme leicht erhoben hatte, als wolle er ihn zurückrufen. Aber schon zwei Straßen weiter vergaß Peter den fremden Mann, denn Max und Frieder, die beiden Banknachbarn in seiner Klasse, warteten dort schon mit ihren Rädern auf ihn und begrüßten ihn mit lautem Hallo und Geschrei …
    Fritz Bergschulte stand vor dem Haus und hatte die Hände in den Taschen. Die Begegnung mit seinem Sohn, der ihn nicht erkannte und auch nicht erkennen konnte, hatte sein Inneres völlig zerwühlt; nun wußte er nicht, was er hier noch sollte, und kam sich auf einmal sehr überflüssig und fehl am Platze vor. Er war ja tot – das sah er jetzt wieder mit erschreckender Deutlichkeit. Man hatte ihn einfach gestrichen. Die Feder eines Beamten auf dem Gericht – ratsch – ein Mensch hat aufgehört zu leben. In den Akten, in den Köpfen, in den Herzen, in den Seelen. Es gab keinen Fritz Bergschulte mehr. Der war in Rußland begraben worden, im dunkelsten Ural. Ein Steinhaufen lag über seinem Grab, und die Krähen von Nowoschinsk saßen am Abend darauf und stritten sich um einen Wurm …
    Fritz Bergschulte trat an die Haustür heran und las die Schilder. Parterre P. Barner, 1. Stock H. Korngold. 2. Stock V. Sacher. 1. Stock Heinrich Korngold, Ingenieur. Mit Frau und Kind …
    Bergschulte ballte die Fäuste in der Tasche. Mit seiner Frau, mit seinem Kind …
    Heinrich Korngold, der einen Menschen einfach sterben ließ …
    Fritz Bergschulte drückte auf die Klingel. Als das Summen des elektrischen Türöffners ertönte, kam dem verstörten Heimkehrer erst zum Bewußtsein, daß er geschellt hatte, und er war versucht, wie ein kleiner Junge, der mutwillig geklingelt hatte, über die Straße zu flüchten. Doch dann riß er sich zusammen, drückte die Tür auf und stieg die breite Steintreppe empor. Ruhe, sagte er sich bei jeder Stufe. Nur Ruhe … Ruhe … Ruhe …
    Dann stand er vor der Wohnungstür und wartete.
    Drinnen in der Wohnung hörte er einen leichten Schritt näher kommen, und er wußte, daß es die Schritte Linas waren. So oft hatte er sie gehört, so oft hatte er von ihnen in der verlausten russischen Baracke geträumt … dieser leichte, fast scheue Schritt, der den schlanken, biegsamen Körper vorwärtstrug.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, die Tür wurde geöffnet …
    Dann sahen sie sich in die Augen.
    Stumm, starr, einer Bewegung nicht fähig, blickte Lina ihren Mann an. Eine gelbweiße Blässe überzog ihr Gesicht, um die schmalen, roten Lippen, welche die Spuren eines Lippenstifts trugen, zuckte es kurz. In ihre Augen trat eine helle Angst – sie flatterten und irrten an dem stummen Mann im Hausflur rauf und runter.
    Aber sie sprach kein Wort. Nur ihr Gesicht schrie einen vollkommenen Wirrwarr der Gefühle hinaus. Was sie alles empfand, hätte sie, wäre sie in diesem Augenblick gefragt worden, nicht in Worte fassen können.
    »Ich lebe …«, sagte Fritz Bergschulte endlich. Seine Stimme war rauh, zerrissen wie seine Seele beim Anblick seiner Frau. Sein Gesicht war wie aus Stein, als er an ihr herunterblickte und nickte. »Gut siehst du aus …«
    »Willst du nicht hereinkommen?« sagte sie. Es war ihr erster Ton, den sie von sich gab.
    »In die Wohnung eines Lumpen? Nein!«
    »Heinrich ist nicht da …«
    »Ich weiß.« Fritz Bergschulte lehnte sich gegen das Treppengeländer. »Ich habe ihn weggehen sehen. Auch meinen Sohn Peter …«
    »Mein Gott.« Linas Hände fuhren entsetzt zum Mund. »Hat er dich auch gesehen?«
    »Das wohl. Aber nicht erkannt!« Fritzens Worte waren voll Hohn und Schmerz. »Man hat ihm wohl nie ein Bild seines Vaters mehr gezeigt, was? Der eine Mann ist tot, – es lebe der neue Mann! Der eine war bloß Maurer, da muß man sich ja schämen, eine Arbeiterfrau zu sein. Aber der andere ist Ingenieur – warum soll der kleine Junge da wissen, daß sein Vater Ziegel schleppte. In Rußland verreckt – Gott sei Dank!« Und plötzlich wurde seine Stimme scharf, ging sie zum Angriff über.
    »Aber der Vater lebt, der Tote ist zurückgekommen, und er wird um sein Recht kämpfen!«
    »Fritz …« Es war der alte, vertraute Ton, der ihm ins Ohr drang.

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