Morgen komm ich später rein
|22| und unserem Kopf, um von überall aus arbeiten und trotzdem Verbindung zur Firma halten zu können. Wo die technischen Möglichkeiten
konsequent angewendet werden, ändert sich eben doch die Art, wie wir arbeiten und leben.
Die Kosten für die Mobilisierung und Emanzipation des Arbeitnehmers vom Büro sinken gen Null: »Eine Internet-Standleitung
kostete in den Neunzigern noch vierstellige Summen pro Monat – eine gleich schnelle DSL-Leitung heute fast nichts mehr. Auf
diese belastbare und günstige Web-Anbindung von Mitarbeitern habe ich zehn Jahre lang gewartet«, sagt der Geschäftsführer
einer Berliner Agentur im Interview in Kapitel 8. Chris Anderson, Chefredakteur der Zeitschrift
Wired
und Autor des Bestsellers
The Long Tail
hat als nächsten Trend »Free«, also »Umsonst« ausgemacht: Der Preis von technischer Infrastruktur wie Bandbreite, Transistoren
auf Chips und Speicher sinkt – in Relation zu ihrer Nützlichkeit – permanent so stark, dass er heute als nahezu Null betrachtet
werden kann.
Unsere Berufswelt hat sich verändert: Nichtlineare Jobbiografien sind heute für viele Menschen normal. Was der Soziologe Richard
Sennett 1998 noch als Problem des entwurzelten »flexiblen Menschen« kritisierte, ist heute häufig Alltag: Wir haben nicht
mehr einen Job bis ans Ende unseres Lebens, wir brauchen nicht mehr nur den Beruf, um unserem Leben eine Struktur zu geben,
und das ist auch gut so. Die Globalisierung ist in unserem Berufsleben zunehmend kein abstrakter Begriff mehr, sondern pragmatischer
Alltag: Internationale Teams, Outsourcing sowie Kunden und Geschäftspartner aus aller Welt sorgen dafür, dass wir nachts E-Mails
aus Indien bekommen oder abends Anrufe aus den USA. Mit einem klassischen 9-to-5-Arbeitstag ist das kaum zu vereinbaren.
Der zunehmende weltweite Wettbewerb motiviert Unternehmen, permamente Effizienzoptimierung zu betreiben: Wer seine Mitarbeiter
per Notebook und Datenverbindung in die Freiheit entlässt, steigert Produktivität, Zufriedenheit und Flexibilität. Gleichzeitig
spart er an Immobilien und Infrastruktur. Beides zusammen macht Firmen fit im Kampf gegen internationale Wettbewerber.
Die Gefahren durch Terroranschläge und Naturkatastrophen |23| motivieren vor allem in den USA viele Unternehmen, die Krisenresistenz ihrer Produktionsprozesse zu überdenken. Zentralisierte
Infrastrukturen sind anfälliger als vernetzte. Alle Arbeitsplätze und Informationen in einem Bürogebäude zu versammeln, bedeutet,
dass die Produktion stillsteht, wenn hier etwas schief geht. Mitarbeiter an verschiedenen Orten arbeiten zu lassen und diese
digital zu vernetzen, heißt, dass die Arbeit auch im Katastrophenfall weitergehen kann. Das mag hierzulande überängstlich
wirken, wird in Amerika aber heiß diskutiert.
Die gesellschaftlichen Parameter sind verschoben: Dass Frauen heute berufstätig sind, ist weitgehend Normalität. Männer wiederum
fordern mehr Teilhabe am Familienleben, wollen auch Zeit mit ihren Kindern verbringen. Deshalb ist für die meisten Paare die
zentrale gemeinsame Herausforderung geworden, Familie und Job zu vereinbaren. Unser Bedürfnis nach einem Gleichgewicht zwischen
Arbeit und Privatleben, der viel beschworenen Work-Life-Balance, ist insgesamt gestiegen: Wir definieren uns nicht mehr ausschließlich
über beruflichen Status, sondern wollen ein in vielerlei Hinsicht erfülltes Leben haben. Der demografische Wandel und die
damit beschriebene Alterung der Bevölkerung in der westlichen Welt wird zu einem zunehmend dramatischen Nachwuchskräftemangel
führen. Wer künftig die besten Köpfe für sein Unternehmen gewinnen will, muss ihnen Freiheit und Flexibilität anbieten. Außerdem
werden wir alle später in Rente gehen – deshalb müssen Arbeitsplätze künftig stärker altersverträglich gestaltet sein.
All diese Faktoren lassen sich nicht mehr mit der altmodischen, aber verbreiteten Lebensweise vereinbaren, den ganzen Tag
in ein Büro eingesperrt zu sein. Die Lösung des Schreibtischdilemmas liegt in einer flexiblen und mobilen Arbeitsauffassung.
Wer kennt nicht das wunderbare Gefühl, morgens mal später zur Arbeit zu müssen, mehr Zeit für Kinder, Frühstück und Zeitungslektüre
zu haben, vielleicht noch kurz in Ruhe seine E-Mails zu checken oder draußen in der Sonne einen Kaffee zu trinken. Nicht selten
geht man dann mit mehr Lust ins Büro, hat vielleicht vorher schon eine gute Idee
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