Morgen trauert Oxford
solltest du den schönen
Engel fürchten, o Tod?
Adelaide Ann Procter, 1825-64
A
ls Kate nach Hause kam, schleuderte sie die Schuhe von den Füßen, ließ sie im Flur liegen, wo sie waren, und ging in die Küche, um nach etwas Essbarem zu suchen. Nach dem Gelage mit Paul war lediglich gesundes, grünes Gemüse, frisches Obst und ein wenig fettreduzierter Käse übrig geblieben. Was sie jetzt allerdings gebraucht hätte, war ein ordentlicher Eisbecher. Am liebsten Schokoladeneis mit Schokosplittern, dunkler Schokoladensauce und einem großen Berg Sahne.
In Ermangelung eines solchen Trostes entkorkte sie eine Flasche Rotwein. Rotwein war immer ein Garant für eine richtig schöne Depression und einen dicken Kopf am nächsten Morgen.
Was machte es schon aus, wenn sie morgen früh nicht fit genug zum Arbeiten war? Mit ihrem Buch ging es sowieso nicht vorwärts. Sie wusste keinen Deut mehr über Maria Taylor als ein paar Wochen zuvor. Alles, was sie schreiben konnte, war eine zwar kompetent recherchierte, aber vorhersehbare Geschichte, in der sie allgemein bekannte Fakten verarbeitete.
Und was die Männer anging, so hatte sie die Nase gestrichen voll von ihnen, und zwar für immer.
Sie schaltete den Fernseher ein und suchte nach einem richtigen Schund-Programm, doch überall liefen nur Nachrichten. Auch gut. So liefe sie zumindest nicht Gefahr, aufgeheitert und aus ihrer schlechten Laune gerissen zu werden.
Sie leerte ihr Weinglas und schenkte sich sofort ein neues ein.
Als Ant zurückkehrte, hatte die Familie bereits zu Abend gegessen, gespült und saß gemütlich vor dem Fernseher. Über den Bildschirm flimmerte ein Comedy-Programm, doch als Ant das Wohnzimmer betrat, schaltete Dime schnell zur BBC um. Ant setzte sich mit seinem Butterbrot vor die Mattscheibe. Sobald er aufgegessen hätte, würde er den anderen sagen, dass es an der Zeit war, zu packen und abzureisen.
Die Meldung, die ihr Interesse weckte, wurde gegen Ende der Nachrichten ausgestrahlt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Ant gar nicht richtig hingeschaut, sondern nur vor dem Fernseher gesessen und Pläne für die Weiterfahrt geschmiedet. Der Lieferwagen war inzwischen repariert und parkte ein paar hundert Meter entfernt, wo er keine Aufmerksamkeit erregte. Innerhalb einer Stunde konnten sie auf der Rolle sein. Wenigstens mussten sie jetzt nicht mehr nach Leicester. Sie konnten fahren, wohin sie wollten.
Doch plötzlich horchte Ant auf.
»Im Zusammenhang mit dem Mord, dem in Oxford die viel versprechende Universitäts-Dozentin Dr. Olivia Blacket zum Opfer fiel, sucht die Polizei nach einer gewissen Julia Paley. Miss Paley erlitt im Januar dieses Jahres einen Verkehrsunfall, bei dem ihr zehn Monate altes Kind tödlich verletzt wurde. Julia Paley erlitt ebenfalls schwere Verletzungen, verschwand aber aus dem Krankenhaus und wird seither von ihrer Familie vermisst. Am Steuer des Unglückswagens saß Dr. Blacket. Sie wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von zweihundert Pfund verurteilt. Julia Paley wird gebeten, bei einer Polizei-Dienststelle vorstellig zu werden und einige sachdienliche Fragen zu beantworten. Eine diskrete Behandlung ihrer Aussage wird von den Behörden zugesichert …«
Ant ging zum Fernseher und schaltete ihn ab.
»Das bist du, nicht wahr?«, wandte er sich an Angel. »Du bist Julia Paley.«
»Vermutlich«, antwortete sie. »Ich kann mich nicht erinnern. Aber es spielt auch keine Rolle mehr. Wenn es so ist, dann war es in einem früheren Leben, das jetzt vorüber ist.«
»Gut«, sagte Ant. »Aber bist du dir auch ganz sicher?«
»Nichts aus diesem Leben ist jetzt noch wichtig«, bekräftigte Angel.
»Zeit für den Aufbruch«, sagte Ant an alle gewandt. »Wir können jetzt nicht mehr in Oxford bleiben.«
»Wo geht es hin?«, fragte Gren.
»Nach Norden«, antwortete Ant. »Aber erst räumen wir hier auf.«
Dime zog die Betten ab und stopfte die Bezüge in die Waschmaschine, um sie später sauber wieder aufzuziehen. Angel wischte Staub, ging mit dem Staubsauger durch das Haus und polierte die alten Möbelstücke, die sie lieb gewonnen hatte. Ant und Gren rückten die verbliebenen Dinge auf Regalen und in Schränken zurecht, damit der Besitzer nicht auf den ersten Blick bemerkte, dass etwas fehlte. Als sie fertig waren, sah das Haus fast wieder so aus wie bei ihrer Ankunft, nur erheblich sauberer und ordentlicher. Selbst die Topfpflanzen grünten und blühten.
»Was ist mit dem Laden?«, fragte Gren.
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