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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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zur Familie konnte sie nicht zurück. Während ihrer Genesungszeit hatte sie es gerade noch aushalten können, doch die innige Nähe erdrückte sie fast. Die ganze Zeit über hatte sie sich geschworen, ihrer Wege zu gehen, sobald sie ihre selbst auferlegte Aufgabe erfüllt hatte. Außerdem hatte sie ihnen kein Glück gebracht. Tod. Gefahr. Liebe. Nie hatte sie gewollt, dass jemand Olivia an ihrer Stelle umbrachte, aber sie wusste genau, dass er es nur aus Liebe zu ihr getan hatte. Lange, ehe sie seinen Namen kannte, hatte er in ihrem Zimmer gesessen und ihr auf der Flöte vorgespielt. Schon damals war es ihr bewusst geworden. Doch sie war noch nicht bereit für die Liebe und wusste nicht, ob sie es je wieder sein würde. Coffin hatte ihr die Zuneigung geschenkt, die er auch für einen Hund an den Tag gelegt hätte. Aber Ant hatte ihm keinen Hund gestattet.
    Aus den Nachrichten wusste sie, dass sie der Polizei inzwischen bekannt war. Julia Paley. Der Name erschien ihr nicht richtiger als der Name Angel. Doch es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis man sie fand. Als sie am Leicester College vorüberkam, hatte sie überall blaue Uniformen gesehen; sie wurde gesucht. Die Polizei abzulenken war das Mindeste, was sie für die Familie tun konnte.
    Sie wandte sich nach Norden, ging die St. Giles und dann die Banbury Road entlang. Von der Stadtautobahn aus wollte sie versuchen, per Anhalter weiterzukommen. Vielleicht zurück nach London. Oder in die andere Richtung. Birmingham.
    Beim Laufen wurde ihr allmählich wärmer. Eine Zeit lang vergaß sie, wie hungrig sie war.

    »Es ist Zeit«, sagte Ant. »Wir können nicht länger warten.«
    »Unterwegs halten wir Ausschau nach ihr«, schlug Dime vor. »Ich werde sie schon finden.«
    »Aber sicher«, nickte Ant. »Ich sagte doch, dass wir sie suchen. Und jetzt ab ins Auto.«
    »Wohin?«, fragte Gren, als sie das Ende der Straße erreichten. Links ging es zur Stadtautobahn, rechts in die Innenstadt.
    »Rechts«, sagte Coffin.
    »Vielleicht wollte sie sich ein letztes Mal umsehen«, meinte Gren. »Ich fahre eine Runde durch die Stadt, und ihr haltet Ausschau nach Angel.«
    »Einverstanden«, stimmte Ant zu. »Wir nehmen einfach den längeren Weg zur Autobahn.«
    Wie ein bleicher Finger erhob sich der Magdalen Tower vor ihnen.
    »Hübsch«, entfuhr es Dime. Doch dann erinnerte er sich an Ants Lektion und setzte hinzu: »Aber nicht gut für’s Geschäft.« Und keine Spur von Angel auf der Brücke.
    Auf beiden Seiten der Straße tauchten Bauwerke aus dem Nieselregen auf. Aus ihren hohen, alten Fenstern fiel goldenes Licht auf den Gehweg. Die Heizung des Lieferwagens lief auf Hochtouren. Draußen war es bitterkalt.
    »Nett«, stellte Dime fest. Doch seine Stimme klang besorgt.
    Sie fuhren die St. Aldates Street hinunter am Christ Church College vorbei und bogen nach rechts in Richtung Bahnhof ab. Die Straßen waren menschenleer. Sie hatten den Eindruck, die Stadt gehöre ihnen ganz allein. Falls Angel hier herumlief, würden sie sie finden.
    »Da drüben ist das Polizeirevier«, erklärte Gren und wies nach links, als sie am Haupteingang des College vorüberfuhren.
    »Eislaufbahn«, sagte Ant, als sie abbogen. »Parkhaus.« Aber keine Angel.
    Sie folgten den verschlungenen Einbahnstraßen und hielten Ausschau nach einem ehemals weißen Kleid und hellen Haaren. Schließlich schlugen sie die Richtung der St. Giles ein.
    »Der Laden war wirklich prima«, sinnierte Gren, als sie an dem grün gestrichenen Geschäft vorüberfuhren.
    »Das schaffen wir nächstes Mal wieder«, tröstete Ant. »Nur viel besser. Vielleicht machen wir sogar eine ganze Ladenkette auf.«
    »Ohne Angel ist es nicht mehr das Gleiche«, sagte Coffin. »Ohne sie mag ich nicht fahren.«
    »Und noch ein paar alte Colleges«, lenkte Ant ab und zeigte auf die andere Seite der St. Giles, als sie am Ashmolean links abbogen. »Davon gibt es wirklich hier jede Menge.« Doch von ihrer Angel fehlte nach wie vor jegliche Spur.
    Coffin kramte eine seiner Flöten hervor und begann »The Leaving of Liverpool« zu spielen.

    Als sie den letzten Kreisverkehr erreichten, hatte seit fast zehn Minuten keiner von ihnen mehr ein Wort gesprochen. Hinweisschilder informierten darüber, dass sie auf die M 40 zusteuerten. Hoffnungslos, in einer Stadt nach einer einzelnen Person zu suchen. Im Grunde war ihnen allen bewusst, dass Angel nicht hatte gefunden werden wollen.
    »Welche Richtung?«, fragte Gren knapp. Er saß am Steuer. »London oder

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