Morgen trauert Oxford
gesetzt, ihre Knie umschlungen und die Augen wieder geschlossen. Doch wo war Ant?
Hinter ihr auf der Balustrade, gerade außerhalb ihres Blickwinkels, war ein leises Geräusch zu vernehmen.
»Ant? Sind Sie das?«
Die schlanke, schwarze Gestalt kam hinter einem Strebepfeiler hervor und betrat die ebene Fläche der Balustrade. Oh ja, er wusste, dass sie unter Höhenangst litt. Dort oben, mit nichts als viel Luft zwischen sich und den harten Pflastersteinen des Radcliffe Square, war er vor Kate Ivory ziemlich sicher.
»Sie wollen mit mir sprechen?« Lässig legte er den Arm um eine Steinananas und blickte auf den Platz hinunter.
»Ja.« Und wider besseres Wissen fügte sie unwillkürlich hinzu: »Tun Sie das bitte nicht.«
»Machen Sie sich etwa Sorgen? Brauchen Sie nicht. Direkt hier unten befindet sich ein Sims. Sehen Sie? Einen Meter weiter unten. Es ist mindestens einen halben Meter breit.« Und er lehnte sich über den Rand des Daches, um besser sehen zu können.
Kate schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, drehte sich die ganze schwarz-goldene Welt um sie. Nachdem sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte, sah sie das Glänzen seiner Zähne im helleren Schatten seines Gesichtes.
»Sicher möchten Sie etwas über die ermordete Frau erfahren«, sagte er.
»Ja. Ich glaube nämlich, ich kenne den Grund, weshalb sie getötet wurde.«
»Und der wäre?«
»Liebe. Sie wurde aus Liebe getötet.«
»Was wissen Sie schon von Liebe, Kate Ivory?«
»Wenig genug, Ant.«
»Im Gegensatz zu uns.«
»Ich weiß. Ich glaube, es ging um Angels Liebe zu Daisy. Und um Olivias Liebe zu ihrem ungeborenen Kind. Und darum, wie schwer es eine Frau trifft, wenn ihr Kind stirbt – geboren oder ungeboren.«
»Mutterliebe«, sagte Ant. »Aber das ist nicht die einzige Art von Liebe.«
»Nein«, bestätigte Kate. »Da ist auch noch die Liebe zwischen den Mitgliedern der Familie.«
»Das ist es, worum es uns geht«, erklärte Ant. »Wir alle sind auf unterschiedlichen Wegen dorthin gekommen, aber wir haben uns gefunden und halten zusammen.«
»Liebe als Zement«, nickte Kate. »Das ist auch eine Definition.«
»Sie zu definieren ist nicht wichtig«, meinte Ant. »Sie zu leben schon.«
»Sagen Sie mir denn, wie es geschehen ist?«
»Ich dachte, Sie wüssten es. Sie sagten, Sie hätten verstanden.«
»Ich weiß, dass Angel Olivia töten wollte. Doch sie konnte es nicht tun, als sie ihr Auge in Auge gegenüberstand.«
»Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte es getan. Allerdings wäre sie niemals ungeschoren davongekommen. Dazu bedurfte es einiger Organisation.«
»Also ist ihr jemand von der Familie gefolgt und hat Olivia für Angel ermordet. Und für Daisy.«
»Wenn es so war, dann geschah es aus Liebe. Aus Liebe zu Angel.«
»Ich weiß. Ich verstehe. Ich verstehe es wirklich. Er wusste, was Daisys Tod für Angel bedeutet hatte. Er riss sie aus ihrem Leben, und er entriss ihr das Gedächtnis. Beinahe wäre sie daran gestorben. Vielleicht dachte er, dass Angel noch einmal ganz von vorn beginnen könnte, wenn sie von Olivia befreit wäre.«
»Genau da liegt das Problem in eurer Welt«, sagte Ant. »Die Leute hören nicht zu. Sie hören zwar Worte, aber die verdrehen sich und wechseln ihre Gestalt auf dem Weg vom Mund zu den Ohren. Und damit verändern sie auch ihre Bedeutung. Angel hat Olivia angeschrien, doch Olivia hat nicht gehört, was sie sagte. Angel schrieb in ihr Tagebuch, aber die Worte bedeuteten für jeden, der es las, etwas anderes.«
»Ich habe versucht, ihr zuzuhören«, sagte Kate. »Ich habe versucht zu verstehen, was sie sagte. Zählt das denn gar nicht?«
»Die Leute hören nur das, was sie hören wollen, und lesen nur, was sie zu sehen erwarten. Diese Seiten auf Olivias Schreibtisch – wer weiß schon, was sie wirklich aussagten und was die Frau damit bezweckte?«
»Wer von euch hat es getan?«, fuhr Kate auf. »Ich will es wissen!«
»Es spielt keine Rolle«, sagte Ant. »Und ich halte es für besser, wenn Sie es nicht erfahren.«
»Und was haben Sie jetzt mit Angel vor?«, fragte Kate.
»Wir möchten sie heiraten«, antwortete Ant. »Vier Männer, eine Frau. Wahrscheinlich finden Sie die Idee schrecklich, aber uns gefällt sie. Und sie wird unserer Angel gerecht. Vier Männer, die sich um sie kümmern und die sie lieben. Sie wird noch mehr Kinder bekommen. Wir wissen, dass Daisy nicht ersetzt werden kann, aber es wird der Beginn eines neuen Lebens für Angel sein.«
»Aber
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