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Morgen wirst Du frei sein (German Edition)

Morgen wirst Du frei sein (German Edition)

Titel: Morgen wirst Du frei sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Martini
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Knochen. Er trug trotz der herbstlichen Kühle nur ein Unterhemd, das seine eindrucksvollen Tätowierungen zur Geltung brachte, darüber eine abgewetzte Lederjacke. Zerfetzte Jeans und Kampfstiefel bedeckten seine Beine. Seine mit Karnevalfarbe bunt gefärbten Haare hatten wir mit Haarspray in Form gebracht. Dutzende Ketten hingen von ihm herab, in seinem Nietengürtel war in einem Holster ein stattliches Messer zu erahnen. Er sah zum Fürchten aus.
    Bereits als ich durch das Tor fuhr, erkannte ich, dass das Haus leer war. Kein Fahrrad, alle Fenster waren geschlossen. Ich hielt an.
    »Hm. Da war unsere Verkleidungsaktion wohl überflüssig, oder?«, fragte Zecke. Dennoch wirkte er wachsam, als er ausstieg.
    Ich beobachtete ihn, wie er das Gebäude umrundete. Vorsichtig wie ein Jäger. Als Punk müsse man das können, dieses Erwittern von Gefahr, hatte er mir vor einiger Zeit erklärt. Wenn man nachts allein unterwegs sei, stelle man Beute dar für Typen, die Punks hassen. Ich hatte ihm nicht geglaubt, bis er mehrere Zeitungsartikel vor mir ausgebreitet hatte, die über Überfälle berichteten.
    »Ich bin davon überzeugt, dass Thea uns nichts tun würde«, lachte ich ihn aus. »Sie ist eine Frau. Eine ältere Frau.«
    Er drehte sich zu mir um. »Eine Frau. Eine ältere Frau. Aha«, blaffte er. »dir ist nicht klar, dass diese ältere Frau eine Psychopathin ist, stimmt´s?« Er kehrte zu mir zurück. »Überleg doch mal! Du hältst sie für eine harmlose Trittbrettfahrerin, die etwas beobachtet hat und sich nun mit ihrem Wissen ein angenehmes Leben macht?« Er deutete auf das Haus. »Woher muss sie kommen, wenn das hier für sie ein Aufstieg ist?«
    Ich war beleidigt. Er sprach von meinem Elternhaus, in dem ich gelebt und mich hin und wieder sogar wohlgefühlt hatte. Gut, es war alt und, ja, auch ärmlich. Aber es war mein Zuhause. Gewesen.
    Zecke kam zu mir herüber, legte mir den Arm um die Schultern. »Tut mir leid. Aber du musst den Tatsachen ins Auge schauen. Diese Frau hat etwas zu verlieren! Viel sogar. Glaubst du, sie lässt das Haus und die Rente deiner Mutter einfach so wieder sausen?«
    »Ich habe ihr alles angeboten. Sie kann alles haben. Ich will nur meine Ruhe«, schluchzte ich hilflos.
    Er drückte mich an sich. Seine Wärme tat gut.
     
    Wir betraten das Haus. Thea konnte nicht lang weg sein, der Kühlschrank war gefüllt, Obst stand auf dem Couchtisch, der Laib im Brotkorb war frisch. Im Bad roch es noch nach Duschgel, ein Handtuch war feucht. Im Schlafzimmer war das Bett gemacht, die Küche war blitzsauber.
    »Wir sollten uns beeilen, außer du willst warten, bis sie kommt«, trieb mich Zecke an. Er sah sich um, starrte auf den alten Fernseher mit Bildröhre, ließ sich aufs Sofa fallen. Nahm einen Apfel, biss hinein.
    Ich zog Klamotten aus dem Schrank in meinem Zimmer, packte ein paar Bücher ein und Dokumente, die ich benötigen würde: Geburtsurkunde, Pass, Fahrzeugbrief, Bankunterlagen. Meine Ersparnisse verwaltete ich online, ich besaß also kein Sparbuch. Mit drei gefüllten Taschen verließ ich das Haus. Ich warf sie in den Kofferraum.
    Zecke schnürte durch den Garten wie eine Katze. »Irgendwie ist so eine alte Hütte urig. Gemütlich, kuschelig. Kenne ich so gar nicht. Meine Eltern wohnen steril. Bauhausstil nennt sich diese bewohnbare Gefühllosigkeit. Beton, Glas, Stahl.« Er betrachtete die Fassade, zeigte nach oben. »Hier fehlt Efeu oder Wilder Wein.«
    Ich folgte seinem Zeigefinger. Er hatte recht. Das Haus benötigte keinen Anstrich, sondern sollte begrünt werden. Könnte ich hier bleiben, brächte ich Rankgitter an ... Ich unterbrach meine Träume rüde, wandte mich zum Auto. »Komm jetzt, ich will weg sein, bevor Thea zurückkommt.«
     
    Der Weg zurück nach München verlief schweigend. Wir hingen unseren Gedanken nach. Zecke schien nachzudenken. Ich spürte der Trauer über das nach, was ich verloren hatte. Mein Zuhause. Unwiederbringlich weg. Oder? Gab es eine Möglichkeit?
    Zecke hatte mein Problem in der Nacht, in der ich ihm alles erzählt hatte, mit wenigen Worten zusammengefasst: Thea erpresste und bestahl mich, plünderte Monat für Monat das Konto, auf das die Rente meiner Mutter überwiesen wurde, lebte in meinem Haus.
    In dem Haus meiner Mutter. Die tot war. Die ich getötet hatte ... Alles drehte sich im Kreis. Alles hatte begonnen, als ich zum Mörder geworden war.
    Ich schlug mit der Faust aufs Lenkrad. »Scheiße!«
    Zecke nickte nur. Plötzlich richtete er sich in

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