Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
Da lassen wir sie am besten in Ruhe.«
»Da sagen Sie was!«, seufzte ich. »Sie rotiert und hat Panik, dass Gangster ihre karge Rente plündern und sie bis zum nächsten Ersten nur noch trocken Brot zum Essen hat.«
Die Stimme lachte laut auf. »Na, dann wollen wir Ihrer Frau Mutter mal ihre Nachtruhe wiedergeben. Haben Sie die Kontonummer zur Hand?«
Als ich die rote Taste an meinem Handy drückte und damit das Gespräch beendete, hinterließ ich auf ihr einen nassen Fingerabdruck. Es hat geklappt, dachte ich euphorisch und panisch zugleich. Sie wird kein Geld mehr bekommen. Sie müsste eine neue Karte beantragen. Und das konnte sie nicht ohne Mutters Personalausweis. Oder? Wie funktionierte das mit einer neuen EC-Karte? Reicht ein Anruf bei der Bank? Und die schickt eine?
Meine rechte Hand, die noch immer das Mobiltelefon umklammerte, zitterte, die linke hatte den Notizzettel zu einem feuchten Ball zerknüllt. Ich legte ihn auf den Tisch, das Handy daneben. Dann ging ich in die Küche, öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm ein Bier. Ich öffnete es und trank die Hälfte der Flasche in einem Zug. Keuchend setzte ich ab. Hatte ich das Richtige getan? Was würde nun passieren? Ich leerte die Flasche und nahm mir eine neue.
»Heute ist ein guter Tag, sich zu betrinken«, schrie ich den Kühlschrank an, stolperte über den unebenen Fußboden mit den überstehenden Türschwellen ins Wohnzimmer und warf mich auf das Sofa.
»Fast wie Lottospielen«, erklärte ich dem Kissen, als ich es mir unter den Kopf stopfte. Ein paar Minuten später war ich eingeschlafen.
23. Kapitel
Ich begann mit den Vorbereitungen für meine Master-Thesis. An den Nachmittagen war ich im Verlag, vormittags nahm ich an einem Seminar teil, das vermitteln sollte, wie wissenschaftliche Arbeiten aufzubauen sind, welche Regeln gelten. Wir waren nur 18 Studenten, die meisten von ihnen schlummerten, einige tippten unter ihren Tischen auf ihren Smartphones. Ich, der Streber, hörte zu. Der Dozent, ein Doktorand, konzentrierte sich zunehmend auf den Einzigen, der Interesse an seinem Vortrag zeigte. Auf mich. Doch auch meine Gedanken schweiften ab.
War unser Plan aufgegangen? Hatte ich Thea den Geldhahn zugedreht? Sie zum Handeln gezwungen? Was würde sie tun? Erkennen, dass ich nicht mehr greifbar war für sie, dass ich keine Angst mehr hatte vor ihr? Würde sie es mir gleichtun und einfach verschwinden?
Ich glaubte nicht daran.
Der Doktorand hatte mir eine Frage gestellt. Ich zuckte zusammen. »Wie bitte?«
»Die Zitierregeln. Ob Sie mir welche nennen können. Wenigstens eine.« Er klang resigniert. »Sie haben doch alle bereits eine Hausarbeit geschrieben, oder?« Hilfesuchend schaute er mich an.
»Quellentexte, die man wörtlich oder sinngemäß zitiert, müssen in Fußnoten oder im Literaturverzeichnis mit der genauen Fundstelle angegeben werden«, leierte ich herunter. »Und in Anführungszeichen. Also, wenn man wörtlich zitiert«, stammelte ich verlegen, als ich wahrnahm, dass sich die Blicke meiner Kommilitonen auf mich richteten.
»Sehr gut«, lobte der Dozent und deutete auf einen Papierstapel auf seinem Pult. »Hier finden Sie eine Zusammenfassung. Bitte bedienen Sie sich! Auch im Internet werden Sie fündig.«
Seine Worte gingen unter im allgemeinen Aufbruch der Studenten. Ich stieg die Stufen hinunter, um mir einen Zettel zu holen. Ich war der Einzige. Der Doktorand, der aus der Nähe nicht älter als 25 aussah, packte mit roten Ohren seine Manuskripte ein, nickte mir zu und verschwand. Er tat mir leid. Er erinnerte mich an mich selbst. Früher. In einem anderen Leben.
Ich sprang die Treppe am Eingang des Universitätsgebäudes hinab, orientierte mich bereits Richtung U-Bahn-Eingang, als ich das Signal aus meiner Hosentasche hörte. Eine neue SMS. Ich kramte nach dem Mobiltelefon, ließ es beinahe fallen, tippte auf das Symbol und las. »Mag sein, dass du mich vergessen hast. Oder vergessen willst. Ich vergesse dich nicht.«
Etwas Glühendes schoss durch meinen Körper, mir wurde schwarz vor den Augen. Ich stolperte über eine Stufe, vertrat mir den linken Fuß, fing mich wieder und stand auf dem Bürgersteig. Ich keuchte, pumpte Luft, als wäre ich gerannt. Mein Magen war deutlich zu spüren. Leicht irgendwie, er schien mit Helium gefüllt. Oder mit Panik.
Ich musste mich setzen. Es ist nicht vorbei, wurde mir bewusst, als ich auf der Treppe vor der Uni saß. Ich schüttelte den Kopf. Es wird nie ein Ende
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