Morgen wirst du sterben
musste man im Kino nicht reden.
Dann brachte er sie zurück zu Marianne.
»In zwei Wochen bin ich noch einmal in Hamburg«, sagte er bei der Verabschiedung. »Wenn du magst, unternehmen wir wieder etwas Schönes.«
Julie nickte und lächelte ihn an, obwohl sie genau wusste, dass sie ihn nicht wiedersehen würde.
Mein Vater ist tot, erzählte Julie danach jedem, der sich nach ihm erkundigte. Wenn man dabei ein trauriges Gesicht machte, das lernte sie schnell, fragte niemand weiter.
Und jetzt diese SMS . Und vorher die verwüstete Wohnung. Und die erste SMS . Dummerweise hatte sie die gelöscht. Sie erinnerte sich auch nicht mehr genau an den Inhalt. Auf jeden Fall war es auch in der ersten Botschaft um Schuld gegangen. Aber nicht um meine Schuld, dachte Julie. Es geht um meinen Vater.
Die Einzige, die ihr weiterhelfen konnte, war Marianne. Julie beschloss, am Wochenende zu ihr zu fahren. Es war ohnehin an der Zeit, dass sie sich mal wieder in Lohbrügge blicken ließ. Sie hatte ihre Freunde seit Wochen nicht gesehen. Und ihre Mutter auch nicht.
»Du meldest dich auch nur, wenn du was von mir willst«, hatte Marianne ihr vorgeworfen, als sie vor zwei Wochen das letzte Mal miteinander telefoniert hatten. »Dabei wohnen wir in derselben Stadt. Komm doch wenigstens mal zum Kaffeetrinken vorbei.«
Freitagabend würde Julie zu ihr rausfahren und Sonntagabend zurückkommen. Oder vielleicht erst am Montagmorgen. Sie könnte direkt zur Arbeit in der Boutique fahren. Auf diese Weise schlug sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie konnte mit Marianne über ihren Vater reden. Vielleicht gab es ja doch etwas, was ihre Mutter ihr bisher verschwiegen hatte. Und sie musste das Wochenende nicht allein in der Wohnung verbringen.
Wie hatte sie es jemals mit Marianne aushalten können? Diese Wohnung ist eine Zumutung, dachte Julie, nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte und in den Flur getreten war. Das Chaos im Flur. Der Garderobenständer brach unter der Last der Klamotten fast zusammen. Daneben ein Stapel Altpapier, ein Kasten Wasserflaschen, ein paar Kartons mit Altglas. Schuhe lagen mitten im Weg. Der Spiegel an der Wand war blind von Staub. Marianne hatte keinen Finger gerührt, seit Julie das letzte Mal aufgeräumt und geputzt hatte.
»Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.« Ihre Mutter erschien jetzt in der Küchentür, ein Glas Weißwein in der Hand. »Ich hab Essen gemacht.«
»Hi.« Julie zögerte einen Moment, bevor sie ihre Jacke vorsichtig oben auf dem Garderobenständer drapierte. Hoffentlich gab ihm das nicht den Rest.
»Risotto mit Garnelen«, sagte Marianne. »Ich freu mich so, dass du da bist.«
Das klang nicht wie eine Floskel, sondern ehrlich. Und Mariannes Lächeln wirkte auch echt.
»Wirklich?«, fragte Julie überrascht.
»Natürlich.« Marianne küsste sie auf die Wange. Kein warmer Mutterkuss, sondern ein typisches, dahingehauchtes Marianne-Küsschen.
Das Essen war natürlich angebrannt. »Ich lerne es nie«, seufzte Marianne und schob ihren Teller von sich, nachdem sie gerade mal zwei Bissen genommen hatte. »Tut mir leid.«
»Ist nicht schlimm.« Julie ließ ihre Gabel sinken. Der Risotto schmeckte wirklich abscheulich. Dabei kaufte Marianne immer die teuersten Zutaten ein.
»Kann ich dir irgendetwas anderes anbieten?«, fragte Marianne. »Wir könnten uns eine Pizza bestellen.«
»Lass mal. Ich hatte ohnehin keinen großen Hunger.« Julie nippte an ihrem Weinglas. »Hast du eigentlich noch Kontakt zu meinem Vater?«, erkundigte sie sich dann.
»Wie kommst du denn jetzt darauf?«
»Nur so. Ich hab kürzlich so eine SMS bekommen … ist ja auch egal. Auf jeden Fall hab ich mich gefragt, ob ich ihn vielleicht noch mal besuchen sollte.«
»Hm.« Marianne leerte ihr Weinglas und schenkte es gleich danach wieder voll. »Ich hab natürlich seine Adresse. Aber wir haben jahrelang nicht mehr miteinander gesprochen.«
»Was weißt du von ihm?«
»Nichts. Wir kannten uns ja überhaupt nicht. Das weißt du doch.«
»Na, irgendwas muss doch hängen geblieben sein. Ich meine, abgesehen von mir. Ihr habt euch doch garantiert ein bisschen unterhalten, bevor ihr miteinander ins Bett seid. Und danach auch.«
»Von der Nacht selbst weiß ich gar nichts mehr. Ich war ziemlich blau und konnte mich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern. Filmriss. Sonst hätte ich mich doch nie auf so was eingelassen.«
Ein Filmriss. Das war der Beginn von Julies Existenz.
»Er wohnt
Weitere Kostenlose Bücher