Morgenroetes Krieger
Wissen in der Tat keinen großen Wert für uns besitzt. Ich will dich ja nicht beleidigen, aber du bist diesen wilden Typen zu äh n lich, als daß du für unsere Spezialisten einen Wert hättest, deren liebste Beschäftigung darin besteht, bestimmte E r scheinungsformen in Reinkultur zu züchten. Unser dom e stiziertes Angebot ist in dieser Hinsicht pe r fekt.“
Han dachte voller Traurigkeit daran, daß in dieser Bemerkung zum Teil die Ursachen lagen, warum es mit ihnen auf Morgenröte konstant bergab ging. Die Ler entwickelten sich zurück, und die Menschen – was auch immer aus ihnen nach endlosen Jahren der Domestizi e rung geworden sein mochte – waren nach allem, was Han über Sklavenhaltung wußte, sicherlich froh, ihre nächste Mahlzeit zu bekommen. Hatha unterbrach seinen Geda n kengang.
„Versteh mich richtig, ich bin selber kein Züchter. Ich halte es für Zeitverschwendung, an einer eigentlich fre m den Spezies herumzulaborieren , wenn man gleichzeitig selber nicht vom Fleck kommt, was immer man auch tut. Trotz des Schiffes hat sich daran nichts geändert.“
„Seit wann wird die Domestizierung betrieben?“
„Seit wir die ersten Menschen gefangen haben. Zuerst dachten wir nach den Überfällen auf Chalcedon daran, mit dem frischen Blut unsere bisherigen Typen aufzustocken, aber die führenden Züchter waren der Meinung, dieser Neuzugang führe lediglich zu weiteren Typen. Als die Gefangenen hier eintrafen, waren sie in der Tat anders, verglichen mit den alten Typen, selbst dort, wo man von einer oberflächlichen Ähnlichkeit sprechen konnte. Und natürlich war keiner von ihnen so anpassungsfähig wie du.“
Han biß sich auf die Zunge: anpassungsfähig, in der Tat! Ein Haufen Bauern, Geschäftsleute und Kinder, ausgesucht allein wegen ihrer körperlichen Merkmale; sie hatten sicherlich keine Ahnung, waren bestimmt vö l lig verängstigt gewesen. Wie hatten die Krieger auch e r warten können, daß diese einfachen Menschen sich in Raumschifftechnologie auskennen würden. Und selbst wenn – wie konnte man von ihnen erwarten, daß sie i r gend etwas freiwillig taten? Aber ein anderer Aspekt zeigte deutlich, wie tief die Ler auf Morgenröte gesunken waren: Sie wären niemals auf den Fehler verfallen zu meinen, die neuen Gefangenen würden den alten ähneln, wenn sie – wie alle Ler – ihr eidetisches Gedächtnis be i behalten hätten. Darin lag auch der Grund, warum Ler-Piloten im Weltraum per Handsteuerung flogen: Sie konnten zwei Perspektiven von unterschiedlichen Stan d punkten aus vergleichen und im Geiste ein mentales St e reobild entwerfen. Gab man ihnen drei Positionen im Raum, so „sah“ der Ler dreidimensional in einer rech t winkligen Ebene auf der Höhe der Flugrichtungsgeraden. Aber niemand schien offenbar etwas davon zu wissen.
„Also gut, ich habe dir eine Belohnung versprochen, und die sollst du auch haben – falls du sie willst.“ Ein lauerndes Funkeln trat in Hathas Blick. „Ich werde für dich einige Quartiere abtrennen, damit du arbeiten kannst, und dir ein oder zwei Hilfskräfte zur Verfügung stellen. Aber vor allem sollst du dir auf meine Kosten eine weibliche Partnerin deiner Wahl aussuchen! Überl e ge es dir! Du bist schon eine Sprosse höher auf der St u fenleiter sozialer Hierarchie! Du darfst frei wählen – was selbst viele von uns nicht können.“
„Wie soll das vor sich gehen? Ich habe nur wenige Menschen in diesem Lager gesehen.“
„Kein Problem. Wenn du die Klesh noch nicht ges e hen hast, so heißt dies nicht, daß es sie nicht gibt. Ach, diese Menschen! Wenn du in einer Höhle lebtest, wü r dest du auch abstreiten, daß die Sterne existieren. Aber im Ernst: Normalerweise gibt es hier nur sehr wenige. Aber zufällig haben wir in dieser Saison eine Winterau s stellung über unsere Kunst … äh … übrigens die einzige Kunstrichtung, die bei uns praktiziert wird. Welche B e zeichnung wäre dir lieber: nach rassischen Gesichtspun k ten ausgewählte Typen? oder: Züchtungen? Oder vie l leicht: Gattungen? Egal – komm mit! Triff deine Wahl! Zeig deinen elitären Geschmack!“
Han bestieg mit Hatha die Fähre. Er fühlte sich plöt z lich beklommen und schwer ums Herz; eigentlich hatte er wenig Lust, sich das Resultat tausendjähriger aufg e zwungener Züchtungen anzusehen. Wie mochte so ein Klesh wohl aussehen? Hatten die Krieger mehr auf pra k tische Verwendbarkeit oder auf Schönheit abgezielt? Und was noch wichtiger war: Nach welchen Kriterien
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