Morgens 15.30 in Deutschland
Phantom, ich war Mr X, ’ne Taskleiste war nicht halb so lang im Internet wie ich! Einen Schatten hatte ich ja schon immer – jetzt war ich selbst einer. Ich war Sherlock Holmes, Miss Marple, Tarzan, Gaby, Karl und Klößchen in einem, ich war Dr. Fu Man Chu! Und dann hab ich sie endlich gefunden, nach geschlagenen 36 Minuten: Anna; 22 Jahre alt; Hobbys: Reiten, Schwimmen und Lesen; aus der sympathischen Gruppe: „Rettet die Wale, esst mehr Japaner!“
Schön, jetzt ganz wichtig, nächster Schritt: Madam was Nettes an die Pinnwand schreiben! Auch so was! Heute ist das ganz normal, da schreibst du ihr halt schnell was an die Pinnwand. Was war das früher für ein Aufwand! Leiter besorgen, nachts hoch zu ihr ans Fenster, mit dem Glasschneider die Scheibe zerstören! Das ging ja noch, aber erst mal der Lärm, wenn sie gar keine Pinnwand hatte! Nachts um drei mit dem Bohrhammer die Sechserdübel in die Wand gekloppt – und das alles ohne Licht! Nur um ihr dann so etwas an die Pinnwand zu schreiben wie: „Naaaaaa? Wie kannst du denn schlafen bei dem Krach?“
Ist heute einfacher! Alles, was ich jetzt noch brauchte, war ein netter Spruch! Also nicht rumtändeln, nicht zu lang, nicht zu kurz, romantisch, aber nicht zu schmalzig, geistvoll, aber nicht abgehoben, was Süßes, aber was mit richtig Testosteron! Ich schrieb: „Huhu! Rate, wer hier ist! Gez. der mysteriöse Mr X!“ So, den muss sie erst mal wechseln! Der sitzt! Der steht wie Vatter seiner, da kannst du ’n Reisepass dranheften, den siehst du nie wieder!
Kam fünf Minuten später von ihr direkt zurück: „Lieber mysteriöser Mr X! Hallo David! Kleiner Tipp: Anonyme Botschaften nie vom eigenen Account aus verschicken! PS: Falls du ein Tablett im Haus hast, du weißt ja, wie es geht!“
Tja – es sieht so einfach aus, aber es klappt halt leider nicht immer! Und trotzdem, das Internet, das Web 2.0 und die sozialen Plattformen: im Grunde die zweite sexuelle Revolution! Geschichten wie diese ereignen sich täglich millionenfach auf der ganzen Welt. Falls du noch nicht so lange eingeloggt sein solltest, hier die wichtigsten Vokabeln aus der Fachsprache der sozialen Netzwerke und was sie bedeuten:
Freund
Fremder
Wir sind gute Freunde im „studiVZ“!
Wir kennen uns nicht!
gruscheln
Zusammensetzung aus grüßen und kuscheln. Um ehrlich zu sein, müsste es eigentlich heißen: gricken, grumsen oder groppen!
Statusmeldung
Mitteilung mit zweifelhaftem Informationsgehalt, den man früher für sich behalten hätte!
jemanden adden
Einen Fremden zu einer Liste anderer Fremder hinzufügen.
Pinnwand
Etwas persönlicher als die Statusmeldung; der rasch hingeworfene Spruch auf die Pinnwand, zum Beispiel: „Hallo Spatz! Ich mach Schluss!“
twittern
ADS plus Internetzugang: das ist „twitter“! Ein unaufhörlicher, weltweiter Laberflash, 24 Stunden, sieben Tage die Woche und kein Knopf zum Ausmachen.
Wie schon weiter oben erwähnt, macht es uns das Internet heute flirtmäßig vom Prinzip her relativ leicht. Manchmal muss ich aber auch ganz ehrlich sagen: keine Aufregung mehr, kein Schweiß mehr in der Maurerspalte, wenn’s zur Sache geht – das ist doch langweilig! Das war nicht immer so. Früher konntest du ’ne Nacht lang nicht schlafen, weil du wusstest: Morgen ruf ich sie an! Das war noch eine echte Herausforderung, ein Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden – Kontaktaufnahme live und unzensiert! Du musstest so überlegt vorgehen wie bei einer Bombenentschärfung. Das war allein eine Sache zwischen dir und dem Telefon! Und es gab mehrere Gefahrenstufen!
Erste Stufe: Zum Telefon hingehen, Hörer in die Hand nehmen und – wieder auflegen!
Zweite Stufe: Zum Telefon hingehen, Hörer in die Hand nehmen, wählen – scheiße, das klingelt ja!!! Auflegen!!!
Dritte Stufe: Durchatmen, Adrenalin runterkriegen, zur Entspannung Benjamin-Blümchen-Soundtrack in den Kassettenrekorder einlegen, zum Telefon, Hörer in die Hand, wählen, das Klingeln aushalten: „Ja, hallo ...?“ Scheiße, die geht ja ran!!! AUFLEGEN!!!
Letzte Stufe: Klarkommen und dann volle Kanne pushen, Benjamin Blümchen raus, Scooter rein! Action, Attacke, Angriff!!!
Zum Telefon hin, Hörer in die Hand nehmen, wählen, klingeln lassen: „Ja, hallo ...?
„Mhm ... ähm .... ja, hallo Julia, hier ist der David, ich kann einfach nicht vergessen, wie du mir in der großen Pause im Gebüsch deine Hand in die Hose gesteckt hast; wenn ich daran denke, krieg ich überall rote Flecken, und ich wollte fragen,
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