Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
er fest, daß Jocelyn ein Schafsgesicht machte. May wirkte spröde und gefaßt. Becky glich, wie stets, einem Kätzchen, das an der Sahne geschleckt hat. Und Rose - Rose glich dem feuchten, verhangenen, freudlosen Novembertag.
Gaylord, dem plötzlich einfiel, daß er ein armes Lämmchen war, brach in Tränen aus. «Was hat der Bengel denn, zum Teufel», erkundigte sich Opa.
«Da hast du allen Grund zu fragen», sagte Tante Rosie düster.
«Verflucht noch mal, das tu ich ja.»
Tante Rosie warf Mummi und Paps einen bedeutungsvollen Blick zu. «Vielleicht können uns seine Eltern Auskunft geben», sagte sie.
Paps schüttete sich aus einem Glasröhrchen zwei Aspirintabletten auf die Handfläche, schluckte sie hinunter und sah ganz elend aus.
«Wenn ihr schon aufeinander keine Rücksicht nehmt, so denkt wenigstens an das Kind», sagte Rose.
«Mein Ei ist faul», sagte Gaylord, der keine Lust mehr hatte, ein armes Lämmchen zu sein und Eier verabscheute.
«Ihr habt ja keine Ahnung, welche Zerstörung ein Schock wie der von heute morgen in einem kindlichen Gemüt anrichten kann», erklärte Tante Rosie.
«Das einzige, was sein kindliches Gemüt zerstören könnte, wäre ein Sherman-Panzer», sagte Opa. «Und selbst dann ist es noch nicht raus, wer dabei auf der Strecke bliebe.»
«Mein Ei stinkt wie die Pest», sagte Gaylord.
«Gaylord!» Mummis Stimme klang scharf.
«Freud erklärt eindeutig...» begann Tante Rosie.
Opa hieb auf den Tisch und brüllte: « Dieser Kerl!»
«Was für ein Kerl?» fragte Tante Rosie.
«Freid», erwiderte Opa.
«In meinem Ei sitzt ein Küken», sagte Gaylord.
Großtante Marigold mischte sich ein. «Also Rose, du weißt doch genau, daß dein Vater verboten hat, den Namen Freid beim Frühstück zu erwähnen.»
Rose trommelte mit ihren Fäusten auf den Tisch. «Müßt ihr ihn denn immer Freid nennen», kreischte sie hysterisch.
«Jetzt geht das schon wieder los», sagte Opa. Er stand auf, schleuderte seine Serviette hin und verließ das Zimmer. Weinend eilte Großtante Marigold ihm nach. «Rose, was hast du nur wieder angestellt. Jetzt verkriecht er sich den ganzen Tag grollend hinter den .»
Mummi sah Rose an. «Also», sagte sie angriffslustig. «Worauf willst du hinaus?»
Rose blickte besorgt zu Gaylord hinüber. Aber der war, ein Auge zukneifend, ganz damit beschäftigt, sein Ei zu inspizieren. Sie sagte: «Ich meine, daß du Jocelyn gezwungen hast, auf dem Dachboden zu schlafen.»
«Hat sie gar nicht», sagte Paps. «Mir wurde es zu bunt, und da bin ich gegangen.»
«Unsinn, ich hab dich rausgeschmissen und dir dein Nachtzeug nachgeworfen.»
Paps erhob sich. «Wenn jetzt schon mein Nachtzeug ins Gespräch kommt...» Er zuckte die Schultern und verließ ebenfalls das Zimmer.
«Ich kann seinen Schnabel sehen», verkündete Gaylord.
2
Rose war ein nettes Mädchen. Sie unterrichtete in der Stadt an der Schule beim Gaswerk. Der Lehrerberuf lag ihr nicht sonderlich. Obwohl sie einzelne ihrer Schüler ganz gern hatte, fand sie Kinder im allgemeinen schrecklich. Sie hielt sie für unaufrichtig, verdorben und grausam. Sie war schon dreißig, und die Säuerlichkeit eines drohenden Altjungferntums machte sich bereits bemerkbar. Heute war sie besonders gereizt, weil sie eine Eröffnung machen mußte, die sie in den Brennpunkt des allgemeinen Interesses rücken würde. Während des ganzen Frühstücks hatte sie versucht, den Mut für ihre Ankündigung aufzubringen. Aber, wie alles, was in dieser Familie geschah, hatte sich auch die Sache mit Gaylord zu einer Lawine entwickelt. Also mußte sie es jetzt beim Mittagessen loswerden. Länger konnte sie es nicht mehr aufschieben.
Sie schluckte krampfhaft, errötete und nahm einen ersten Anlauf: «Ich habe...»
«Ruhe, verdammt noch mal», fauchte Opa, weil er beim Bratenschneiden an einem kritischen Punkt angelangt war, der seine ganze Aufmerksamkeit erforderte.
Rose verstummte. O Gott, ist das die Sache wert? dachte sie.
Opa beendete das Hackwerk der Verstümmelung. Rose nahm einen neuen Anlauf und verkündete: «Ich habe jemanden zum Abendessen eingeladen.»
Jetzt ist es heraus, dachte sie. Nun gibt es kein Zurück mehr.
Zu ihrer Überraschung erfolgte keinerlei Reaktion. Becky fragte völlig desinteressiert: «Wer ist es denn? Kenne ich sie?» Für Becky waren Roses Freundinnen alle gleich: Sie trugen Tweedkostüme, waren überspannt und gerade noch eben als weibliche Wesen erkennbar; sie lachten viel, ohne
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