Morgenstadt - wie wir morgen leben
Stickstoffverbindungen als landwirtschaftliche Nährstoffe direkt im Wasser zu belassen und es komplett als Dünger für die Pflanzen zu verwenden. Den Kohlenstoff aus der Organik hingegen kann man in Methan umwandeln; als Biogas ist er ein wertvoller Energieträger. Eine weitere Option ist es, die Stickstoff- und Phosphorverbindungen auf physikalisch-chemische Weise aus dem Wasser zurückzugewinnen und als chemische Rohstoffe zu verwenden. All dies lässt sich mit Klärverfahren realisieren, die unter Luftabschluss funktionieren, man nennt sie deshalb anaerob.
Man kann die schönsten Ideen haben und sie sogar im Labor ausprobieren, aber Käufer und Investoren für die geplanten Systeme findet man nur dann, wenn man ein funktionierendes Pilotprojekt vorführen kann. Das gilt für den Transrapid ebenso wie für eine effizientere Wasserwirtschaft. Walter Trösch, den das Thema seit Jahren nicht loslässt, hat deshalb auf seiner heimischen Terrasse Versuche mit der Trennung von Regenwasser angestellt. Er machte sich schließlich daran, eine Gemeinde zwischen Karlsruhe und Stuttgart zu finden, die bereit war, in einem Neubaugebiet im Rahmen des Forschungsprojekts DEUS 21 (DEzentrales Urbanes Infrastruktur-System) ein völlig neuartiges Abwassersystem zu installieren. 51 Die Abwasserreinigung sollte anaerob aufgebaut sein und außerdem die enthaltenen Stoffe verwerten, um so einen nachhaltigen Betrieb zu gewährleisten. In Knittlingen, einer 6000-Einwohner-Stadt am Rande des Kraichgaus, wurde Trösch schließlich fündig. Bald war auch der Gemeinderat überzeugt, und so begann man 2004 mit dem Bau einer innovativen Abwasseranlage, die heute von Fachleuten aus der ganzen Welt besucht und nachgeahmt wird. „Knittlingen ist ein regelrechter Wallfahrtsort für Wasserexperten geworden“, sagt IGB-Forscher Marius Mohr, der die Anlage betreut hat.
Hier, am Ostrand des Städtchens, im Neubaugebiet zwischen Kalkofenstraße und Römerweg, kann man all das in der Praxis sehen, was eine nachhaltige Wassernutzung ausmacht. Hübsche Einfamilienhäuser säumen die Straßen, dazwischen haben die Familien begonnen, Gärten anzulegen. Am tiefsten Punkt des Gebiets steht ein schicker,grau-rot gestrichener, würfelförmiger Holzbau. In ihm befindet sich das Herz der Anlage, die ansonsten unsichtbar unter der Erde liegt: zum Beispiel die Becken und Rohre zum Reinigen des Regenwassers. Dieses wird in ein unterirdisches System aus Speicherkanälen abgeleitet. Eine moderne Membrananlage bereitet es dann so auf, dass das Regenwasser bezüglich der Inhaltsstoffe und Hygiene den Anforderungen der Trinkwasserverordnung entspricht. Als solches wird es aber nicht verwendet, sondern als sogenanntes Pflegewasser. Für dieses gibt es ein eigenes Leitungsnetz, das parallel zum Trinkwassernetz jeweils bis zu den Grundstücksgrenzen verlegt wurde. Jeder Bauherr konnte nun wählen, welches Wasser innerhalb des Gebäudes aus welchem Hahn sprudeln soll: in der Küche vielleicht Trinkwasser, in Dusche, Badewanne und Toilette jedoch Pflegewasser. Es eignet sich zur Toilettenspülung und Gartenbewässerung, wegen seiner hohen Reinheit aber auch zur Körperpflege und zur Versorgung von Wasch- und Spülmaschine. Da es einen sehr geringen Härtegrad aufweist, benötigt man weniger Wasch- und Spülmittel und muss bei der Warmwasserbereitung kein Entkalkungsmittel zugeben.
Eine Besonderheit ist die Art und Weise, wie im Projekt Knittlingen das Abwasser in den Häusern gesammelt wird: Es wird mit Hilfe eines Vakuumsystems abgepumpt, ähnlich wie dies in einer Flugzeugtoilette oder auf modernen Kreuzfahrtschiffen geschieht; es saugt also die Fäkalien plus ein wenig Spülwasser durch Unterdruck ab. „Eine Vakuumkanalisation hat gegenüber der herkömmlichen Kanalisation, bei der das Abwasser durch die Schwerkraft bewegt wird, große Vorteile“, sagt Marius Mohr. „Sie benötigt viel dünnere Rohre, ist luftdicht und lässt also keine Gerüche nach außen dringen, ferner braucht man bei der Toilettenspülung mit gut einem halben Liter Wasser nur einen Bruchteil des Spülwassers und vermindert damit die Menge des Abwassers enorm. Pro Person fallen durchschnittlich nur noch vier bis fünf Liter Toilettenabwasser pro Tag an.“ Damit ist genau das gegeben, was sich alle Kläranlagenbetreiber wünschen: Das Abwasser ist praktisch unverdünnt und kann viel leichter gereinigt werden.
Eine Flugzeugtoilette im heimischen Bad? Einige Anwohner waren anfangs skeptisch, sie
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