Morgenstadt - wie wir morgen leben
gefüllt sind. Als sogenannte Latentwärmespeicher bieten sie die Möglichkeit, Temperaturen konstant zu halten und Spitzenwerte auszugleichen. Die sechs bis 10 Mikrometer kleinen Kunststoffkügelchen enthalten ein Speichermedium, das beim Schmelzen Wärme aufnimmt und beim Erstarren wieder abgibt. In Wandputz, Gipskartonplatten oder eben in Stellwände eingearbeitet üben die Speicherkapseln eine ausgleichende Wirkung auf die Raumtemperatur aus. Eine weitere Möglichkeit zur individuellen Klimatisierung ist es, die Wärme- bzw. Kältespeicherfähigkeit von Wänden und Decken auszunutzen.
Leitet man dort Wasser oder Luft durch entsprechende Kanäle, kann man aufgrund der großen wärme- bzw. kälteübertragenden Fläche bereits mit sehr kleinen Temperaturdifferenzen zwischen Decken- und Raumtemperatur effektiv heizen oder kühlen. Man kann also natürliche Umweltwärmequellen und -senken effizient nutzen, wie zum Beispiel die Außenluft oder oberflächennahe Geothermie. Im Winter lässt sich das natürlich vorhandene Temperaturniveau der Umweltwärmequelle durch eine Wärmepumpe noch geringfügig und damit wirtschaftlich günstig erhöhen. Im Sommer kann man das Erdreich bzw. das Grundwasser direkt als natürliche Wärmesenke zur Kühlung der Gebäude nutzen, so dass lediglich die Energie zur Verteilung der Kühlenergie, nicht aber zu deren Erzeugung aufgewendet werden muss. Decken können so im Sommer als Kühldecken und im Winter als Heizungselemente wirken.
Als 2009 das IAO in Stuttgart ein neues Gebäude für das „Zentrum für Virtuelles Engineering ZVE“ plante, lag es nahe, neue Technologien zur Optimierung von Gebäuden hier gleich vorbildhaft einzusetzen. Das inzwischen fertiggestellte Gebäude genügt nicht nur höchsten Ansprüchen an Nachhaltigkeit, sondern besitzt auch sonst ein breites Spektrum an ökologischen, ökonomischen, technischen, sozialen und funktionalen Qualitäten sowie einen sehr geringen Energieverbrauch.
Über mehrere 174 Meter tiefe Bohrlöcher liefert das Erdreich im Sommer Kälte und im Winter Wärme. Photovoltaik-Module reduzieren zusätzlich den Strombedarf. Und statt mit einer herkömmlichen Klimaanlage Kaltluft in die Räume zu blasen, werden Decken und Wände gekühlt. Bei dieser „Betonkernaktivierung“, die jetzt auch zunehmend in Wohngebäuden Einzug hält, machen eingelassene Kühlschlangen das Gebäude selbst zur sparsamen und zugfreien Klimaanlage. Experten vom IBP können an einem Berliner Einfamilienhaus die hohe Wirkung messtechnisch belegen. Auch die „Hohlkörperdecken“ gehören zu den technischen Glanzlichtern des ZVE-Gebäudes: Luftgefüllte Kugeln, in den Beton eingebettet, machen die Decken leicht, ohne ihre Tragfähigkeit zu mindern. Die dabei entstehende Wabenstruktur, die an den Aufbau von Knochen erinnert, erlaubt es, weite Räume zu überspannen. Das ansprechende ZVE-Gebäude aus der architektonischen Feder von Ben van Berkel, UNStudio Amsterdam, der auch das Mercedes-Museum in Stuttgart entworfen hat, soll eine Visitenkarte des Instituts und auch gutes Beispiel sein, wie Gebäude in der Morgenstadt aussehen können.
VIRTUELLE RÄUME ALS PLANUNGSHILFE
Da das IAO Virtuelle Realität (VR) entwickelt und einsetzt, um Arbeitsabläufe zu simulieren und komplexe Formen zu visualisieren, wird im Zentrum des neuen Gebäudes eine CAVE stehen: ein Raum, in dem man dreidimensional und in Originalgröße in die virtuelle Realität eintauchen kann. Dies hilft bei der Planung von ergonomischen Arbeitsplätzen und Produktionsanlagen, bei der Entwicklung von Autos oder beim Entwurf von Gebäuden. Als eines der weltweit führenden Institute auf diesem Gebiet setzten die Planer die VR-Technologie auch schon bei den Vorarbeiten zum Neubau ein.„So konnten Architekten, Fachplaner, Lieferanten und Auftraggeber in einer bereits vorhandenen CAVE im IAO im Vorfeld sehen, wie das fertige Gebäude wirkt, wo Versorgungsleitungen laufen und welche Vorgaben zu beachten sind“, sagt der zuständige IAO-Projektleiter für den ZVE-Neubau Prof. Wilhelm Bauer.
Überhaupt spielt der Computer mit seinen Möglichkeiten zur Simulation und Visualisierung eine große Rolle bei der Planung von nutzerfreundlichen Gebäuden. Vor allem in den Bereichen Beleuchtung und Akustik kann man am Bildschirm optimale Lösungen erarbeiten, ohne dass man teure Umbauten machen müsste. Aber auch die optische, energetische, feuchtetechnische und akustische Wirkung innovativer Baustoffe lässt sich so
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