Morgenstadt - wie wir morgen leben
nennen wir diese neue Art von Arbeitsplatz.“
Stolz spricht der Siemens-Vorstand von einem Paradigmenwechsel: Man will Trendsetter sein für neue Arbeitsumgebungen, die sowohl das konzentrierte Arbeiten Einzelner als auch das Teamwork fördern. Gleichzeitig will das Unternehmen die modernen Kommunikationstechnologien so einsetzen, dass möglichst jeder seine tägliche Arbeit unabhängig von fest installierten Computern erledigen kann. So erhofft man sich nicht nur größere Kreativität und Motivation der Mitarbeiter, sondern auch eine hohe Anziehungskraft auf junge Talente, die man als Mitarbeiter gewinnen will. 103
In der Praxis sieht die neue Bürolandschaft bei Siemens so aus: Weitläufige und durch Offenheit geprägte Räume sind durch verschiedene Elemente und (möglichst wenige) Wände in unterschiedliche Funktionszonen unterteilt. Da wechseln sich Standardarbeitsplätze ab mit Besprechungsnischen, mit Sofas oder kleinen Lounge-Ecken, es gibt schalldichte Besprechungsräume und Telefonkabinen, Cafeterias und Pausenräume, außerdem eine zentrale Aktenablage. Alle Mitarbeiter bewahren ihre persönlichen Gegenstände in einem Schrankfach auf, aus dem sie jeden Morgen ihre Arbeitsutensilien holen und mit einem kleinen Trolley zu einem der Arbeitsplätze fahren. Diesen wählen sie so, dass er den Plänen für den Tag am besten entspricht.
„Es hat am Anfang natürlich ein Umdenken erfordert, dass nun nicht mehr jeder seinen festen Schreibtisch hat“, sagt Petra Schiffmann. „Aber man gewöhnt sich schnell daran. Und alle, die in die neuen Büros wechseln, werden zunächst von Kollegen betreut, den sogenannten „Change Agents“, die Probleme lösen und für Gespräche zur Verfügung stehen.“ Sie räumen nach und nach Vorbehalte aus und führen die Vorteile vor. Auch die Führungskräfte erhalten eine Schulung; Ihnen wird gezeigt, dass Vertrauen gewinnbringend sein kann: für sie persönlich sowie für den Arbeitnehmer und somit in letzter Konsequenz auch für die Firma. Die Kommunikation unter den Mitarbeitern nimmt zu und hat eindeutig gewonnen.
Für die Arbeitsplätze in der Morgenstadt bringen solche neuartigen Bürostrukturen viele Vorteile. Manche Betroffene werden allerdings ein wenig umdenken müssen: Gerade junge, aufstrebende Manager bedauern es oft, wenn das eigene Chefbüro als Symbol für die erreichte Karrierestufe nun plötzlich nicht mehr existiert. Andere hingegen sind froh, dass sie nun nicht länger mit einem ungeliebten Kollegen zwangsweise das Büro teilen müssen, oder sie „fühlen sich aus der Einzelhaft befreit“, wie ein Angestellter es formulierte.
Aktuelle Forschungsergebnisse geben den Büro-Pionieren recht: So fanden die Professoren Sigal G. Barsade von der Universität Pennsylvania und Hakan Ozcelik von der California State University in einer gemeinsamen Studie heraus, dass Personen, die sich an ihrem Arbeitsplatz einsam fühlen, weniger produktiv sind: „Dazuzugehören ist ein kritischer Faktor im Arbeitsleben“, sagt Barsade. 104 Die Zusammenarbeit mit Kollegen, aber auch Gespräche oder gemeinsames Kaffeetrinken können dieses Gefühl stärken. Denn die Einsamkeit am Schreibtisch ist gefährlich, sie kann sogar ansteckend wirken und das Betriebsklima vergiften, so Barsade.
AKUSTIK IN BÜRORÄUMEN
Große Räume, in denen viele Menschen arbeiten, leiden manchmal unter einer nicht optimalen Akustik. Schwierig wird es, wenn beispielsweise die Kommunikation am Telefon in einem Klangteppich aus Echos, Hall und Hintergrundgeräuschen untergeht und der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung nur noch Kauderwelsch empfängt. Damit dies im Büro der Morgenstadt nicht so ist, arbeiten Forscher des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT gemeinsam mit Wissenschaftlern des Hörzentrums Oldenburg und dem Akustikbüro Oldenburg an Gegenmaßnahmen.
Die Forscher gehen das Problem von zwei Seiten an. Einerseits versuchen sie, die Störgeräusche aus dem akustischen Signal herauszufiltern: „Wir bringen in die Kooperation unser Wissen über die Verarbeitung akustischer Signale ein“, sagt Jan Rennies, IDMT-Projektleiter in Oldenburg. Inzwischen sind aus der Kooperation mehrere Sprachverarbeitungsprototypen hervorgegangen, die Stimme und Störsignale sauber trennen. Deren Basis sind Algorithmen, welche die Stimme anhand bestimmter Charakteristika aus dem Klangbrei herausfiltern. So folgt Alltagssprache beispielsweise einem typischen Vier-Hertz-Rhythmus mit vier
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