Morgenstadt - wie wir morgen leben
einem Pilotprojekt zu verdanken, das die Schweizer Bank seit gut eineinhalb Jahren durchführt.
„Wir wollen hier die Arbeitsplätze der Zukunft erproben“, sagt Dr. Martin Kleibrink, der als Corporate Architect der Credit Suisse das Projekt ins Rollen gebracht hat. „Es geht nicht mehr darum, eine bestimmte Fläche unter Beachtung aller gesetzlichen Regelungen mit möglichst vielen Schreibtischen zu füllen, sondern wir wollen Arbeitsplätze schaffen, die die Mitarbeiter inspirieren, motivieren und zur Kooperation anregen.“ So gibt es hier neben dem Lounge-Bereich einen „Business Garden“ mit viel Grün, eine „Project Area“, die sich für längerfristige Projektarbeit, aber auch Workshops eignet und den Bedürfnissen der verschiedenen Teams angepasst werden kann, und eine Zone, in der Telefonieren und Sprechen verboten ist. Solch eine Nutzungsvielfalt lässt sich wirtschaftlich nur in einem nonterritorialen Konzept, also ohne fest zugeordnete Arbeitsplätze, verwirklichen. Verortet sind die Mitarbeiter in ihrer „Homebase“, wo sie ihren persönlichen Schrank haben und sich Standardarbeitsplätze mit ganz normalen Schreibtischen befinden.
Zwei Leitlinien haben Kleibrink zum Entwurf der innovativen Bürolandschaft inspiriert: „Erstens habe ich mich in die Rolle derer hineinversetzt, die später dort arbeiten, denn ich will Design für die Menschen machen. Und zweitens wandelt sich die Arbeitswelt: Es gibt kein Kästchendenken mehr, jeder muss unterschiedliche Tätigkeiten ausführen, mal allein, mal im Team. Der kulturelle Wandel, dem wir alle unterliegen, kommt auch im Büro zum Ausdruck.“
Umfangreiche Vorstudien und Befragungen ergaben, dass jeder mal das Bedürfnis verspürt, ganz in der Stille zu werkeln, andererseits aber auch oft Besprechungen hat oder in unterschiedlichen Teams arbeitet. „Der einzige Weg, diese Mischung aus Konzentration und Kollaboration zu gewährleisten, ist es, das Büro komplett zu flexibilisieren“, sagt Architekt Kleibrink. Und so geschah es dann auch. Auf insgesamt 2250 Quadratmetern wurden 158 Arbeitsplätze geschaffen, bis auf wenige Ausnahmen kann jeder der rund 200 Mitarbeiter stets neu entscheiden, wo er arbeiten will.
Bereits nach fünf Monaten hatte sich das Experiment als so erfolgreich erwiesen, dass Credit Suisse die neue Arbeitsplatzgestaltung auch in einem Gebäude für 2500 Mitarbeiter einführte, das Ende März 2012 bezogen wurde. Die erforderlichen zusätzlichen Investitionen in die innovativen Büros hat die Bank gern aufgebracht, denn die Verantwortlichen wissen: Es lohnt sich. Umfragen aus dem Pilotprojekt zeigen, dass 54 Prozent der Mitarbeiter sich stärker motiviert fühlen, 35 Prozent geben an, bessere Arbeitsergebnisse zu erzielen, und ebenso viele fühlen sich besser ins Team integriert. „Was mich am meisten freute, war aber, dass 87 Prozent der Kollegen angaben, dass sie stolz auf ihr Büro sind“, sagt Kleibrink.
Motiviertere Mitarbeiter sind immer ein Gewinn für eine Firma, hinzu kommt aber noch eine erhebliche Platzersparnis: Da die Angestellten arbeiten können, wo sie wollen, muss man nicht für jeden einen eigenen Schreibtisch vorhalten, der leer steht, sobald sein „Besitzer“ im Urlaub, krank oder unterwegs ist. „Bei der Credit Suisse haben wir zum Teil eine Auslastungsquote der Arbeitsplätze um die 50 Prozent“, sagt Kleibrink. „Das entspricht dem europaweit beobachteten Wert in dieser Branche. Damit ist die Immobilie aber extrem schlecht ausgenutzt.“ Wenn man nur 20 Prozent weniger Arbeitsplätze vorhält, gibt es keinen Engpass, und die Firma spart viel Geld. In den flexiblen Büros lässt sich das verwirklichen, denn jeder sucht sich jeden Tag den passenden Ort, an dem er sitzen will. Seinen Laptop und andere persönliche Dinge transportiert er nicht in einem Wagen, der wiederum nur Platz wegnimmt, sondern in schicken Tragetaschen, die die Bank extra dafür entwerfen ließ. So werden in dem neuen Bürohaus 2500 Mitarbeiter unterkommen anstatt der ursprünglich geplanten 2080, und dafür sind 1950 der neuen, flexiblen Arbeitsplätze ausreichend – ein Gewinn für Mitarbeiter und Unternehmen.
ARBEITEN, WANN UND WO MAN WILL
Eine neue, dem Menschen besser angepasste Organisation von Arbeit wird prägend für die Morgenstadt sein. Professor Dieter Spath, Chef des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart, verweist auf eine Branche, wo heute schon Flexibilität im Vordergrund
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