Morituri - Die Todgeweihten
Für einen Mantis-Agenten war das eine sichere Sache. Also gut. Sie würden das Kabinett beseitigen und sehen, was dann geschah. Das hatten schließlich andere zu entscheiden – nachdem die Körper der Opfer nicht mehr zuckten.
Es war wirklich schade, dass Sten Brigadier Mavis Sims niemals kennen gelernt hatte; er würde sie auch nie kennen lernen.
Kapitel 10
Sten war in ausgesprochen mieser Stimmung. Er stellte die PLAY Funktion aus und streifte den Helm ab. Nachdem er das Bedürfnis, ihn quer durch den Raum zu schleudern, unterdrückt hatte, schaute er mit finsterem Blick in den Regen hinaus.
»Verdammt schwache Einsatzbesprechung«, dachte er. »Ein todsicheres Himmelfahrtskommando« – Sten hatte wirklich absolut schlechte Laune. Die Geheimdienstdaten, mit denen er die interaktive Livie-Maschine gespeist hatte, vermittelten ihm nicht mehr und nicht weniger Details als viele, viele andere Missionen, die er bereits durchgeführt und überlebt hatte.
Vielleicht hatte seine schlechte Laune mit dem Regen zu tun. Hier, in dieser Waldprovinz namens Oregon, schien die Sonne verboten zu sein. Die Spielarten des Wetters rangierten von bedeckt mit drohenden Regenschauern über Nieselregen bis hin zu Wolkenbrüchen, auf die rasch das nächste Gewitter folgte. Er sehnte sich nach einem Drink, aber er und seine anderen Team-Mitglieder übten sich jetzt bis zum Ende ihres Einsatzes in konsequenter Enthaltsamkeit.
Kilgour störte Stens trübsinnige Gedanken. Er riss die Tür zu ihrer angemieteten Hütte (einem Gebäude, das Stens Vermutung nach aus echtem Holz gefertigt war) auf und sagte gutgelaunt: »Auf geht’s, Boss. Hier drin wirst du nur fett und nachlässig. Zeit, dass wir uns mal wieder richtig fertigmachen.«
Sten zog sich seine Laufschuhe an, schnappte sich einen Regenmantel und schon waren sie draußen auf den Straßen von Coos Bay. Das Städtchen selbst hätte die Ursache für Stens Depression sein können. Alte, tausend Jahre alte Ruinen waren eine Sache. Aber Gebäude, die erst ein paar hundert Jahre vergammelten, waren etwas ganz anderes. Bevor die Siedlung kaum mehr als ein Ensemble verrottender, zusammenfallender Gebäude und vergammelter Straßen wurde, hatten hier echte Menschen gelebt.
Knapp 10.000 Einwohner zählte dieses Städtchen in seinen besten Zeiten, wie man Sten erzählt hatte. Bauern, Holzfäller, Seeleute. Das musste lange her gewesen sein. Jetzt wohnten hier weniger als 1.000. Ein paar von ihnen fischten noch, einige waren Künstler, die ihre Credits auf anderen Planeten verdienten; außerdem lebten in einiger Entfernung einige Stammesgruppen allein für sich, auf autonomer Basis. Andere Einwohner boten ihre Dienstleistungen den wenigen Touristen an, die des Großwilds und eines Fischs namens Lachs wegen in diese Gegend kamen. Die kämpferischen Qualitäten und die Ausdauer der Lachse waren berühmt.
Zuerst dachte Sten, sie unterhielten sich über ein Raubtier aus den Wäldern. Er fand den Lachs äußerst lecker, ebenso die Krabben, Austern, den Barsch und einen ausgesucht hässlichen Fisch, den man hier Stör nannte. »Die Sache mit dem Angeln ist einen Gedanken wert«, dachte er. »Man muss nur eine Sprengladung scharfmachen, in einen Teich hineinwerfen, und schon hatte man genug Essen für eine ganze Gruppe Soldaten.«
Die Leute hier benutzten dazu jedoch eine Schnur, die so dünn wie Klettergarn war, sowie handgefertigte Stücke aus Kunststoff, die wie Insekten aussehen sollten und mit Hilfe eines langen Stabes ins Wasser geschleudert wurden. Oft ließen sie sich mit ihrer Beute nur fotografieren, dann ließen sie sie wieder frei. Höchst eigenartig.
»Wo geht ’s heute lang, Boss?«
»Ist doch egal. Ruinen, Felsbrocken und Steine gibt es hier in jeder Richtung.«
Kilgour deutete so ungefähr in eine Richtung, und sie trabten los. Natürlich wieder bergauf.
Einen Kilometer laufen, dann einen halben Kilometer gehen, dann zehn Kilometer laufen. Eine halbe Stunde Gymnastik. Dann wieder zurücklaufen. Standardvorschrift für Imperiale Kampftruppen.
Stens Gedanken kreisten immer noch um diese depressive Provinz Oregon. Wie er gelesen hatte, war diese Gegend auch geschichtlich schon immer ein Ort der Zukunftsträume und der Gegenwartsdepressionen gewesen. Ihr gegenwärtiger Zustand des Verfalls hatte jedoch drei handfeste Gründe: das – zumindest für Stens Empfinden – menschenfeindliche Klima; die permanente Abwanderung ihrer jungen Bewohner, die hier keine Arbeit
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