Morland 02 - Die Blume des Bösen
Motoren aufheulten. Sofort hob die Unverwundbar ihre Nase in die Höhe und begann mit dem Aufstieg. Mersbeck musste sich an der Tischkante festhalten, damit er nicht von der Bank rutschte. Er nahm die Kappe von dem Sprachrohr, das an der Wand angebracht war, und blies hinein.
»Tut mir leid, wenn der Start ein wenig ruppig ist, DoktorMersbeck«, meldete sich der Kapitän. »Aber ich will zwischen diesem Ort und meinem Schiff so schnell wie möglich einige Meilen wissen.«
»Da werde ich Sie enttäuschen müssen, mein lieber Stalling. Ich möchte, dass Sie die Ausgrabungsstätte überfliegen.«
Schweigen am anderen Ende des Rohres. »An welche Höhe hatten Sie gedacht?«
»Je niedriger desto besser.«
»Und wenn sie auf uns schießen?«, fragte Stalling. Mersbeck dachte nach. »Welche Höhe schlagen Sie also vor?«
»Achttausend Fuß.«
Mersbeck fluchte. »Also gut. Achttausend Fuß. Wenn wir uns über der Ausgrabungsstelle befinden, werden Sie unter allen Umständen die Position halten. Die Unverwundbar darf sich auf keinen Fall bewegen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er den Stöpsel wieder auf das Rohrende und rutschte von seinem Sitz, um eine Klappe zu öffnen, die sich im Boden verbarg. Ein Luftstrom blies ihm ins Gesicht und das Dröhnen wurde lauter. Mit aller Kraft riss er eine Kamera aus ihrer Halterung. Er schob eine mit Silberbromid beschichtete Platte in das Gehäuse und entfernte die Sicherheitsabdeckung. Schließlich befestigte er die Kamera wieder an ihrem alten Platz.
Mersbeck spürte, wie sich die Unverwundbar immer höher in den Himmel schraubte. Er konnte jetzt die Zufahrtsstraße zur Ausgrabungsstätte sehen. In dieser Höhe sah sie wie eine dünne, hellbraune Schlange aus, die sichdurch den Wald wand. Mersbeck fluchte. Die Vergrößerung des Kameraobjektivs reichte kaum aus, um etwas zu erkennen. Er konnte nur hoffen, dass das Kameraobjektiv leistungsstärker als die Sucheroptik war. Er kniff leicht ein Auge zusammen und konzentrierte sich wieder auf das, was sich unter ihm abspielte. Langsam kam das kreisförmig angelegte Lager ins Blickfeld. Doch sosehr sich Mersbeck auch anstrengte, er konnte aus dieser Höhe keine Menschen erkennen. Selbst das Loch, das die Sträflinge gegraben hatten, sah unscharf aus. Doch dann schaut er genauer hin und spürte, wie ein kalter Schauer seinen Rücken hinunterlief.
»Alle Maschinen stopp!«, rief Mersbeck. Der Lärm der Motoren erstarb. Hastig drückte er auf den Auslöser, dann warf er einen erneuten Blick durch den Sucher. Mehrere Blitze zuckten fast gleichzeitig auf, Detonationswellen überzogen den Wald, um sich augenblicklich wieder zu verlieren. Schließlich hüllten Staubwolken die Ausgrabungsstätte ein.
Mersbeck hielt erschrocken die Luft an. Arkotov! Er hatte die Ausgrabungsstätte in die Luft gejagt! Und mit ihr alle Menschen, die sich dort unten befunden hatten. Weiß wie ein Leichentuch lehnte er sich gegen die Wand und starrte fassungslos auf die Kamera, die hoffentlich noch ein Bild von der Grube hatte machen können. Arkotov musste diese Sprengung von langer Hand geplant haben. Mersbeck konnte froh sein, dass der Oberst den Befehl zur Zündung der Bomben erst gegeben hatte, als sie schon gestartet waren.
Bevor die Sprengladungen explodiert waren, hatte Mersbeck auf dem Grund der Grube etwas erblickt. Etwas, von dem er hoffte, dass die Kamera es festgehalten hatte.
***
Zwei Tage waren sie nun schon unterwegs Richtung Lorick. Zwei Tage, in denen Hagen Lennart kaum ein Wort mit Tess gewechselt hatte. Anfangs hatte sie noch versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, es dann aber bald aufgegeben. Es war mühseliger, diesen Mann zum Sprechen zu bewegen, als stumm hinter ihm herzumarschieren. Also schwieg Tess einfach und überließ sich ihren Gedanken.
Es war erst wenige Tage her, seitdem Tess aus dem Waisenhaus geflüchtet war, in dem sie die meiste Zeit ihres knapp vierzehnjährigen Lebens verbracht hatte. Die Kinder hatten versucht, gegen den diktatorischen Direktor zu protestieren, doch ihr Aufstand war sofort brutal im Keim erstickt worden. Einzig Tess war es gelungen, einer grausamen Bestrafung zu entgehen. Tess konnte es bis jetzt selbst kaum glauben, aber sie war einfach gegangen, hatte die Wächter, die um ein Vielfaches größer und stärker als sie waren, wie Stoffpuppen beiseitegefegt und war mit einem gewaltigen Satz über die meterhohe Mauer in die Freiheit gesprungen. Tess hatte von einem Moment
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