Morland 02 - Die Blume des Bösen
Kaschemme mit dem Namen Zum frohgemuten Landmann , war alles andere als ein heiterer Ort, der zum Verweilen einlud. Das merkte Tess sofort, als sie mit Lennart die Schänke betrat. Die Bauern, die am Tresen standen, blickten dumpf von ihren mit einem dunklen Gebräu gefüllten Gläsern auf.
»Guten Abend«, sagte Lennart mit fester Stimme. Tess nickte nur. Niemand erwiderte den Gruß. Lennart deutete auf einen Tisch bei der Tür und sie setzten sich.
»Was darf’s sein?«, rief der Wirt. Seine rote, grobporige Nase war ein eindeutiger Hinweis darauf, dass er selbst sein bester Gast war.
»Ein Bier.«
»Und der Junge?«
Lennart sah Tess an.
»Ein Becher Wasser genügt«, antwortete Tess.
Einer der Bauern unterdrückte ein Prusten.
»Wasser«, sagte der Wirt. »Bist du dir sicher?«
Tess nickte nur gereizt. Sie hatte keine Lust, sich mit einem Bauerntrampel über ihre Trinkgewohnheiten zu streiten.
»Wir würden auch gerne etwas essen«, sagte Lennart.
»Ich habe noch ein Fuder Heu in meiner Scheune«, sagte einer der Bauern und nippte grinsend an seinem Glas.
»Halt den Mund, Tove«, brummte der Wirt und wandte sich dann wieder Lennart zu. »Ich kann euch eine Suppe aufwärmen. Ist nichts Besonderes, aber sie füllt den Bauch.«
Lennart zuckte die Achseln. Der Wirt warf sein Handtuch über die Schulter und verschwand.
Tess schaute sich um.
Die besten Tage dieser Gaststube, wenn es sie je gegeben hatte, mussten schon etliche Jahre zurückliegen. Die fleckige Farbe blätterte in den Ecken von der Wand. Der Tabakrauch hatte alles mit einer teebraunen Färbung überzogen. Die Fensterscheiben waren mit einem schmutzigen Film bedeckt, der Schuld daran war, dass wahrscheinlich selbst bei strahlendem Sonnenschein in der Schenke die Petroleumlampen entzündet werden mussten, die auch jetzt rußig blakend ein unruhiges Licht verbreiteten.
»Ich frage mich, wie der Wirt ein Geschäft machen kann«, flüsterte Tess, die es langsam ziemlich affig fand, dass sie und Lennart sich noch nicht einmal unterhielten. Sie scharrte mit den Füßen über den mit Sägespänen bestreuten Boden. »So eine üble Kaschemme habe ich noch nie gesehen.« Selbst dieEiserne Jungfrau in Süderborg, wo sie nach ihrer Flucht aus dem Waisenhaus genau einen Tag gearbeitet hatte, war im Vergleich zu dieser Spelunke ein freundlicher Ort.
Doch Lennart schienen der Dreck und die Trostlosigkeit nicht zu stören. Er schaute gedankenverloren auf den Ring, den er an der rechten Hand trug, und schien nicht zu bemerken, dass sein Gesicht und mehr noch die Augen all die Erinnerungen widerspiegelten, die ihn quälten. Auch wenn Tess diesen Gedanken gleich als makaber verwarf, fand sie, dass Lennart ziemlich gut an diesen Ort passte.
Eigentlich empfand sie tiefes Mitleid mit dem Mann, der alles verloren hatte. Im Waisenhaus hatte sie viele Kinder kennengelernt, die ihre Familien durch ein Unglück verloren hatten. Tess wollte ihm schon die Hand auf den Arm legen, nur um ihm zu zeigen, dass er nicht alleine war, hielt sich dann aber doch zurück. Hagen Lennart war kein Mensch, der Wert auf Nähe legte, und nach allem, was geschehen war, schon gar nicht auf ihre.
Der Wirt brachte das Essen und die Getränke. Das Brot, das er dazu reichte, war ein harter Kanten, den Tess erst in der Suppe einweichen musste, bevor sie ihn kauen konnte. Auch Hagen Lennart aß. Zwar nicht mit sonderlichem Appetit, aber das konnte an dem Eintopf liegen, dessen Zutaten wie zerkochte Küchenabfälle aussahen und auch so schmeckten. Nachdem Lennart seinen Teller geleert hatte, legte er den Löffel beiseite.
»Wir sollten einen Plan schmieden«, sagte er leise. Er klang wach, doch sein Blick war leer und müde.
Tess atmete erleichtert auf. Pläne schmieden war gut, denndas bedeutete, dass man an eine Zukunft glaubte und etwas unternahm. Sie schob den Teller beiseite und beugte sich zu ihm nach vorne.
»Zuerst müssen wir herausfinden, wohin dieser Egmont meine Kinder gebracht hat«, fuhr Lennart fort.
Tess erinnerte sich schaudernd an den Mann mit dem Habichtsgesicht, der Yorks Adoptivvater ermordet und den Jungen durch halb Morland verfolgt hatte. »Nun, er war Richter Urbans Sekretär. Ich würde vermuten, dass er sie auf dem Anwesen der Urbans versteckt.«
Lennart nickte. »Der Bastard weiß, wie wir aussehen«, sagte er. »Und mit Sicherheit hat er den Wachen eine genaue Beschreibung von uns gegeben. Wir benötigen also Hilfe.«
»Ich kenne einen Weg, wie wir mit der
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