Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
zögerte.
»Stoppen Sie den Angriff, bevor noch weitere Unschuldige sterben!«
Begarell nickte. »Es ist geschehen. Ich habe den Befehl zum Rückzug gegeben.«
»Trauen Sie ihm nicht«, sagte York mit krächzender Stimme. Mühsam kämpfte er sich auf die Beine. »Ich habe gesehen, wie er ohne Skrupel getötet hat!«
Begarell warf York einem seltsam leeren Blick zu, trat an eine Konsole und drückte eine Reihe von Knöpfen. Agnethas gefrorener Körper senkte sich herab. Reif hatte sich an Wimpern und Augenbrauen gebildet. Die Haut war grau, aber immer noch so glatt wie die eines fünfjährigen Mädchens. Nora nahm Agnetha in die Arme und drückte sie an sich. Langsam verschwand jede Steifheit aus den Gliedern des Mädchens. Erst lockerten sich die Finger, dann die Hände und zuletzt die Füße. Ihr Kopf kippte zur Seite. Feine Nebelschwaden stiegen auf, als ihr Körper sich von seiner Eiskruste befreite. Langsam nahm ihre Haut wieder eine gesunde, rosige Färbung an.
Es war ein kräftezehrender Akt, der Nora schwächte. Fast schien es, als könnte sie das Gewicht des Kindes nicht mehr halten.
Begarell ergriff Agnethas Hand. »Sie ist wieder warm!«, rief er überrascht.
Dann zuckte ein Fuß, ein Bein, ein Arm. Mit einem tiefen Seufzen holte das Kind Luft, so als erwachte es aus einem langen, tiefen Schlaf. Begarell schlug vor Erstaunen die Hand vor den Mund. Nora legte ihm den weichen, lebendigen Körper in die ausgestreckten Arme. Begarell weinte, als sei eine ungeheure Last von seinen Schultern genommen worden. Eine kleine Hand strich tröstend über seinen Kopf.
»Ich habe geträumt«, flüsterte Agnetha. »Von einer Welt, in der es kein Eis und keine Wölfe gibt. Von Blumen und Gärten und einem Himmel, weit und bla u …« Dann schloss sie wieder die Augen. Ihr Kopf fiel zur Seite.
Begarell hielt inne und lauschte in sich hinein. Mit einem Ruck fuhr er hoch. »Sie wird nicht lange leben!«
»Nein«, sagte Nora erschöpft und stützte sich auf Tess. »In meinem Alter sind die Kräfte begrenzt. Aber Sie werden sich von Ihrer Tochter verabschieden können. So viel Zeit bleibt Ihnen.«
»Wissen Sie, wie grausam das ist, was Sie mir da antun?«, schrie Begarell sie an. Seine Stimme brach unter Tränen. »Zehn Jahre lang habe ich unsägliche Mühen auf mich genommen, um diesen Moment zu erleben. Und nun bleiben mir nur wenige Minuten. Das lasse ich nicht zu!« Er drückte Agnetha wieder an sich.
Plötzlich spürte York einen Stich in der Herzgegend. Mit weit aufgerissenem Mund krümmte er sich zusammen und fiel zu Boden. Keuchend schnappte er nach Luft. Jeder einzelne Muskel seines Körpers schmerzte, jede Sehne war zum Zerreißen gespannt. Er spürte, wie jegliche Kraft aus seinem Körper wich. Agnetha hingegen wurde immer lebendiger.
»Schnell!«, krächzte York voller Angst. »Er bringt mich u m …«
Mit einer Geschmeidigkeit, die York Noras alten Gliedern niemals zugetraut hätte, sprang sie zwischen ihn und Begarell. Yorks Schmerzen verschwanden augenblicklich, aber dafür hatte Nora nun seinen Platz eingenommen. York versuchte, so schnell wie möglich auf die Beine zu kommen. Er hatte zwar keine Ahnung, wie er die alte Frau retten sollte, aber er würde nicht kampflos aufgeben. Niemals. Als er Begarells Gesicht sah, wusste er plötzlich, dass ein Kampf nicht mehr nötig war.
»Es ist ein Geben und ein Nehmen«, sagte Tess, die neben ihm stand.
»Eliasson hatte mir erzählt, wie er einmal Zeuge einer von Begarell durchgeführten Heilung war«, sagte York. »Ein Lebewesen musste sterben, damit ein anderes leben konnte. Nora muss den Prozess so umgelenkt haben, dass er selbst derjenige ist, dessen Kraft auf Agnetha übergeht.«
Begarell verfiel. Er alterte im Sekundentempo, obwohl er sich verzweifelt dagegen wehrte. Seine Tochter lag noch immer in seinen Armen, blühte auf, schien sogar engelsgleich zu leuchten. Aber nun war er zu schwach, um sie zu halten. Er sank auf die Knie. Für einen kurzen Moment bäumte er sich noch einmal auf. Dann starb er.
Agnetha lag auf dem Boden. Ihren Körper umgab noch immer eine leuchtende Aura. Nora berührte sie sacht am Arm. Das Licht ging auf sie über. York wollte ihr helfen, den Körper auf einen Tisch zu heben, damit sie nicht mehr auf dem kalten Boden liegen musste. Doch Nora hob abwehrend die Hand.
»Rühr sie nicht an!«, rief sie. »Du würdest es nicht überleben!«
»Aber warum?«, stammelte York.
»Agnetha ist wie ein überlaufendes Gefäß«,
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