Morphin
auf Abstinenz von Morphin beschränkt, deshalb gestern die letzten Flaschen Wein, wo kriegt man jetzt Wein her? Nirgends.
Rauch über der lodernden Zitadelle, erhaben und schön. Brüderliche Grüße senden wir den auf Hel kämpfenden Soldaten, sagt der Radiosprecher mit brechender Stimme, es lebe Polen, noch ist Polen nicht verloren. Und dennoch.
Ich gebe auf.
Trinke noch Wasser, direkt aus dem Eimer, hebe ihn hoch, trinke, bis der Magen wieder voll ist. Spiegel. Das bin ich, das bin ich, das bin ich.
Ich hasse diesen Ort.
«Aniela, mach sie mir Kaffee!», rufe ich, das Rufen durchschlägt meine Schläfen wie mit fingerdicken Nägeln.
«Kaffee gibt’s keinen nich!», ruft Aniela geduldig zurück, gestern hat sie genauso gerufen.
Ich weiß doch, dass es keinen gibt, wozu frage ich?
«Dann mach sie mir Tee.»
«Tee gibt’s keinen nich. Ich heize erst den Herd.»
«Aber zu Essen ist was da?»
«Nee. Gehen Sie was kaufen. Brot kriegt man in der Mirowska, dreißig Groszy das Kilo, Viertellaibe», grummelt Aniela aus der Küche, der kleinen Küche in dieser kleinen Wohnung, wo sie noch ein Zimmerchen vermietet, ein Zimmerchen, in dem es nach alter Frau stinkt, nach gekochtem Kohl und Zwiebeln, obwohl sie bestimmt seit einem Monat weder Zwiebel noch Kohl gekocht hat, es stinkt auch so, oder bilde ich mir diese Gerüche ein, um mich aufzumuntern?
In die Stadt, ich muss raus in die Stadt. Raus aus dieser Wohnung. Draußen Regen, unangenehme Kälte. Zurück ins Bad. Rasieren oder nicht? Rasieren, mit kaltem Wasser? Ja, trotzdem. Und die Haare zurechtmachen. Aber ohne Brillantine, obwohl welche da ist, in der Dose auf dem Regal, doch jetzt ist keine Zeit für Brillantine, Kriegszeit, deshalb nur der Kamm, nur nicht zerzaust herumlaufen. Eine Aspirin, besser zwei. Gehen auch zu Ende. Dann Unterhemd, Unterhosen, Strümpfe. Danach ziehe ich dicke schottische Wolle an, unter das Jackett einen warmen Pullover. Hut. Schal. Den Mantel nehme ich nicht, ist noch keine Mantelzeit. Das reicht nicht, Tweed hält warm, reicht aber nicht. Einen Anzug, der schützt vor dem Zerfall der Welt, der soll zeigen, dass ich nicht irgendwer bin.
Ich bin ich. Ich bin Konstanty Willemann, ich mag Autos und elegante Anzüge, ich mag keine Pferde, keine Uniformen, keine Versager. Ich – das ist nicht irgendwer. Und dennoch.
Das hilft nicht, reicht nicht. Ich betrachte mich im Spiegel, ich, das bin ich, aber die Welt ist nicht mehr da, und ohne die Welt bin ich nicht mehr ich, und selbst wenn, dann bin ich nur noch irgendwer. Sogar im teuren Anzug, in teuren Schuhen. Irgendwer: Ich gehe raus. Verächtlich fällt die Tür hinter mir zu. Verhöhnt mich, diese Altweibertür, Anielatür, die nicht mir gehört und zu der ich doch gehöre. Ich komme nicht mehr zurück. Ich weiß noch nicht, wohin ich gehe, aber zurück komme ich nicht.
Ich bin draußen, die Stadt ist nicht meine. Keine Scheiben in den Fenstern, stattdessen ist Papier eingeklebt, über Latten wie Andreaskreuze, an diese Kreuze wurde unser Leben geschlagen; öfter noch als Papier blindes Sperrholz und die schwarzen Augenhöhlen leerer Rahmen, herausgeschlagener Scheiben. Die Läden geschlossen, mit Brettern vernagelt oder zertrümmert, stattdessen Straßenhandel, die Leute verhökern alles: englische Reitstiefel, Lampen und Essen zu Preisen, für die man erschossen gehört. Und was für Leute – Marktweiber aus den Warschauer Vorstädten, die irgendwo was aufgetrieben haben, elegante Damen, Schieber, Betrüger, Halbstarke. Die Gesellschaft zerfallen, es gibt jetzt weder Juden noch Griechen, weder Damen noch Huren, weder Professor noch Dieb. Ware aus aufgebrochenen Läden, geraubt, geplündert, auch eigene Pelze, die alte Welt wird flüssig gemacht, ausgelegt auf Zeitungen und Kartons, die Ordnung der Dinge zerläuft wie schmelzendes Kristallglas, Pelze, die der kalte Oktober aus ihren Schränken auf die Straße ruft und von dort in falsche Hände. Ein Weib versucht, einen Herrensattel zu verkaufen – von welchem Pferd gerissen, unter welchem Arsch weggezogen, und was fängt man jetzt mit einem Ulanensattel an? Man könnte ihn sich auf den Rücken schnallen, um Deutsche über die Straßen zu tragen.
Sie erschießen noch.
«Dafür können Sie erschossen werden, Frau», sage ich.
«Geh weg, wenn Sie nicht kaufen, weg!»
Also gehe ich. Wie gut, dass ich Geld habe, dass ich gescheit genug war. Ich gehe die Krochmalna entlang, die vor Juden wimmelt, sie wollen mir alles
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