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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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wozu schon wieder?»
    «Wie dumm du bist, Konstanty», lallt Jacek. «Wie dumm, wie dumm. Und sie hatte nur ein Kleid an, als sie ging. Wegen dir. Dein Lieblingskleid, du Fischficker, deins.»
    «Ziel nicht auf mich, Jacek, bitte. Ich bin blöd, ja, aber ziel nicht auf mich. Ich habe nicht mit ihr geschlafen.»
    «Das hat keine Bedeutung mehr, Kostek. Du bist verurteilt worden. Zum Tod. Wegen Verrats. Du Scheißdeutscher.»
    «Ich muss den Kutscher zahlen, Jacek.»
    «Verurteilt, Konstanty, verstehst du nicht?»
    «Wer hat mich verurteilt?»
    «Der Dienst für den Sieg Polens.»
    «Polen hat verloren.»
    «Und zwar wegen solchem Geschwätz. Wie konntest du mich verraten?»
    «Die Kutsche wartet, ich muss zahlen, Jacek.»
    Er greift mit der Linken nach dem Wodka, ein Rest ist noch in der Flasche, zieht mit den Zähnen den Korken raus und nimmt einen großen Schluck.
    «Wie konntest du mich verraten? Diese Uniform …»
    «Die ist von meinem Vater», falle ich ihm ins Wort, aber er hört nicht.
    «Diese Uniform, alles. Und ich habe dich so in Schutz genommen, Konstanty. Vor allen. Ich hielt sie für Dummköpfe, für beschränkte Philister, wenn sie so redeten. Ich habe dich in Schutz genommen, immer.»
    «Ich weiß. Jacek, ich muss runter zum Kutscher. Der Mann wartet, wie lange wird er warten?»
    «Schnauze, Kostek. Das Urteil ist gefallen. Gegen dich. Wie konntest du mit den Deutschen zu Peszkowski gehen, wie konntest du, du Scheißdeutscher? Wie konntest du meine Iga …?»
    Ich schweige. Wenn er das will, schweige ich eben.
    «Du bist verurteilt, verstehst du? Ein Urteil. Dienst für den Sieg Polens. Das erste Urteil. Feldgericht. Erstes Urteil. Und ich habe mich gemeldet, verstehst du? Sie sagten, ich würde es nicht fertigbringen, aber ich habe mich gemeldet.»
    «Du bist besoffen», antworte ich, obwohl ich schweigen sollte.
    «Du bist besoffen durch dein ganzes Leben gekommen, Konstanty. Wieso hast du mich verraten?»
    «Das ist nicht so, Jacek. Ich kann dir darüber nicht viel sagen, hab nie etwas von diesem Dienst für den Sieg Polens gehört, ich bin selbst bei einem, bei dem richtigen – verstehst du? – Dienst. Bei der Aufklärung. Ich soll auch dich da reinholen, das ist sogar mein Befehl.»
    Er hört zu, hört er zu? Er schaut mich nicht an. Hat die Augen geschlossen, bedeckt sie mit der linken Hand, die Pistole, die Hand mit der Pistole auf den Knien. Ich könnte.
    «Ich bin aus Budapest zurück. Als Kurier. Hab die Kommunikationsvorschriften für die Kuriere mitgebracht, Dzidzia ist dort geblieben, ich war dort mit Dzidzia Rochacewicz, deshalb die Uniform, das ist Verkleidung, verstehst du?»
    Er hört nicht zu.
    «Ich muss den Kutscher zahlen, Jacek. Ich bin sofort wieder zurück, und wir können reden, gut?»
    Ich stehe auf.
    «Wie konntest du mich so verraten, Konstanty? Nur ich habe dich geliebt, nur ich habe dich wirklich geliebt, und du hast mich verraten.»
    «Ich erkläre dir doch gerade …»
    Schuss. Wie eine furchtbare Faust in den Magen. Ich auf dem Boden. Jacek weint.
    «Wie konntest du, sie war … Du musstest sie nehmen, weil du gerade Lust auf sie hattest, ja? Musstest du, gerade sie?»
    Die Zimmerdecke. Steifers Kommunikationsvorschriften. Wer bringt sie zum Erlöserplatz? Ich muss den Kutscher zahlen. Wer zahlt ihn? Er wartet. Warm. Jacek setzt sich neben mir, bettet meinen Kopf auf seine Knie.
    Jacek streicht mir über das Haar.
    Ich habe dich geliebt, Konstanty, aber jetzt werde ich ihn lieben, denn jemanden muss ich lieben, also werde ich ihn lieben, der hohl ist und übervoll von Verzweiflung. Er wird um den Feigenkaktus tanzen, wenn du ins zweite Reich des Todes eingehst, und ich werde mit ihm tanzen
    «Warum, Konstanty, warum?», weint Jacek.
    Ich schweige. Ich atme noch. Es gibt kein Warum. Nichts ist für etwas, alles ist nur. Ist nur dunkle, schwarze, pulsierende Substanz unter der dünnen Haut dieser Welt und sucht dort draußen, an der Oberfläche, eine Antwort auf die Frage – warum?
    Nichts ist für etwas.
    Ich muss den Kutscher bezahlen.

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Über Szczepan Twardoch
    Szczepan Twardoch, geboren 1979, gilt als die herausragende neue Stimme der polnischen Literatur. Mit der Veröffentlichung von «Morphin» (2012) gelang ihm der Durchbruch, der Roman war in Polen ein Bestseller und wurde mit dem renommierten Polityka-Passport-Preis ausgezeichnet. Szczepan Twardoch lebt in Pilchowice/Schlesien.

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