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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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ist Sache des Generals, du bist nur auf dem Lkw gefahren oder gelatscht, hast dich versteckt, geschossen, auf wen hast du geschossen? Auf den, den sie dir gezeigt haben, weil dann das Schießen von der anderen Seite aufhört. Der General hat euch Schnaps gegeben, und jetzt gibt dir gleich einer was aufs Maul – dem General Cochenhausen, Stadtkommandant von Warschau, oder dem Brauchitsch kann er ja keins geben, irgendeiner hält’s gleich nicht mehr aus und haut den Soldaten eine rein, und schon gibt’s Ärger.
    Ich gehe weiter. An der Mauer: «Bekanntmachung!» Links in alles auf Deutsch, in Schwabacher Schrift, rechts: «Obwieszczenie!» In der Mitte ein kleiner schwarzer Adler, wie geschmackvoll. Ich bleibe wie angewurzelt vor der Bekanntmachung stehen. Lese den Teil auf Deutsch, dann kommt mir die Erkenntnis. «Wird mit dem Tode bestraft» – so redete mein Vater, das ist seine Sprache, nicht nur, weil es Deutsch ist, nicht wegen der Todesstrafe, sondern wegen des Tons, mein junger Vati hat genauso geredet: Konstantin, wenn du unartig bist, wenn du dich schlecht benimmst, dann wirst du bestraft! Konstantin, sprich Deutsch!»
    Mir wird übel. Weiter, nur weiter, etwas für den Geist besorgen.
    Zwei Viertelstunden Spaziergang, schon bin ich beim Ujazdowski-Krankenhaus. Die Pavillons sind voll: Da liegen die Verwundeten, dämmern und stöhnen, es fehlt an Medikamenten, die von Kugeln und Splittern gerissenen Löcher schmerzen, es sieht schlimm aus. Ich weiß selbst nicht, was mir mehr Sorgen macht: dass all diese braven Jungs hier solche Qualen erleiden, und auch die weniger braven, oder doch eher, dass Jacek mir nichts geben könnte, weil es ihm ein schlechtes Gewissen macht, wenn er mir etwas zum Entspannen gibt, statt den Jungs Erleichterung zu verschaffen.
    Vielleicht habe ich selbst Gewissensbisse? Na, eher nicht. Ich sehe mich nach meinem Doktor um, frage eine hübsche blonde Schwester mit einem Arsch so rund, als wäre kein Krieg. Sie mustert mich, ist aber zu erschöpft, um sich noch für Männer zu interessieren, schade um ihren Arsch, kommt durch den Krieg zuschanden. Streicheln, Drücken, einen Klaps und einen liebestollen Biss braucht es doch auch, nicht immer nur Gerenne mit Urinflaschen und Verbandsstoff. Aber es ist Krieg. Ich frage die Schwester, sie weiß nicht, wo Dr. Rostański ist, geht weiter, halb wie von Sinnen.
    Ich lehne mich an ein hohes Fensterbrett und ertaste zu meiner Überraschung etwas Hartes in der Jackentasche: die Zigarettenschachtel, die habe ich vergessen! Ich öffne sie voller Hoffnung – drei Zigaretten drin! Einen vorbeigehenden Verwundeten bitte ich um Streichhölzer und rauche. Der Tabak ist ausgetrocknet und kratzt in der Kehle, aber er ist gut, aus einer anderen Welt, drei Tage hab ich nicht geraucht, weil ich dachte, ich hätte keine Zigaretten mehr. Und ich denke: Hätte ich Gewissensbisse?
    Das steht doch den angeschossenen Jungs hier zu, bei mir haben die braven Deutschen keine Löcher reingekriegt, obwohl die ganze Stahl- und Bleilawine, gezielt und abgeschossen, sich als metallischer Strom über mich ergoss, sie traf bloß nicht, erreichte mich nicht, sie haben es nicht geschafft. Ich hab also wohl ein schlechtes Gewissen. Nach der Zigarette mache ich mich in den Krankenhausfluren auf die Suche nach Dr. Rostański. Und finde Rostańskis Gespenst. Ausgemergelt, bestimmt zehn Kilo abgemagert, dunkle Augenringe, ganz bläulich weiß, doch erfreut, mich zu sehen. Jacek, mein Jacek.
    Er freut sich nur in der ersten Sekunde, beim ersten Blick, dann begreift er, sträubt sich sogleich, vermauert sich in Empörung.
    «Ausgeschlossen», wirft er mir so kalt hin, wie er kann, sehr kalt, aber nicht genug, um mich zu entmutigen.
    «Guten Tag, Jacek.»
    «Lass das Guten-Tag-Getue und das Geplänkel, Kostek. Ich weiß, was du willst. Du kriegst nichts, ausgeschlossen. Ich habe kein bisschen.»
    «Hast du.»
    «Nein.»
    Er dreht sich um und geht, als wolle er nicht mehr mit mir reden. Er weiß, dass ich bleiben werde, er wird mir was geben, das weiß ich. Ich also ihm nach, in sein kleines Arbeitszimmer, er will mir die Tür vor der Nase zumachen, aber ich verschaffe mir Zutritt. Ich weiß, dass er was hat, irgendeine eiserne Reserve, unregistrierte, süße Fläschchen, die auf keiner Liste stehen. Scheiß auch auf die Liste, wen interessiert das noch, die Deutschen sind da.
    «Gib mir was, bitte. Ich kann nicht mehr, ich halt es nicht mehr aus, ich erschieß mich.»
    Er

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