Morphin
in regelmäßigen Ellipsen zwischen den Knöpfen den Bauch als haarigen Teig durchblicken.
Andere in Uniformen oder Halbuniformen, zivilen Jacketts und Jagdbreeches, Militärmänteln, aber von Hüten gekrönt. Die müssen sich nicht verstecken, das sind Soldaten aus der Festung Modlin. Vor wem auch verstecken, hier gibt’s keine Deutschen, die gehen nicht in Cafés.
Alle wollen natürlich per Du mit mir sein, aber nicht wegen mir. Hier wollen alle mit allen per Du sein und glauben, auch ich zähle mich zu diesen «allen».
Und sie spucken Töne: Frankreich! Die Sikorski-Regierung, unser Sikorski, Ministerpräsident im Pariser Exil! Und Rydz interniert! Sanacja dies, Sanacja das. Ein Idiot am Fenstertischchen, Idiot im klinischen Sinn, hält große Reden: Polen müsse eine geistige Form annehmen, müsse zu einem Staat des Geistes, aus dem Geist heraus neugeboren werden, als ein Land ohne Ungleichheit und Verfolgungen, als Land aufgeklärter Bürger, die ihre Liebe zum Guten und Schönen, zu Fortschritt, Gott, Gerechtigkeit und Freundschaft vereint.
Und Anisbonbons, unbedingt. Das fällt mir gerade ein, Anisbonbons gehören unbedingt dazu, Rosenlikör und Kokain umsonst. Ich suche mir einen Tisch am anderen Ende des Saales, sonst müsste ich dem Idioten eine reinhauen, dort sitzen Rudzik und Malinkowski bei einer Flasche Wodka, ich setze mich dazu.
Sie sind voll in Fahrt. Sich melden oder nicht? Die Bekanntmachung von Cochenhausen vorgestern, hast du gelesen? Ja. Gestern die Namen von A bis K. Morgen von L bis Z. Rudzik sagt, er geht nicht, Malinowski zögert, Tendenz auch eher nicht. Wenn man sich registriert, hat man keine Wahl mehr, nur das Lager. Oder vielleicht nicht? Und dennoch: Frankreich, Frankreich, und die Deutschen schlagen.
«Habt ihr nicht genug auf die Nase gekriegt in den drei Wochen?», frage ich. «Wollt ihr noch mehr Dresche?»
Sie spulen ihr Ding ab. Sanacja, bestrafen, abrechnen.
«Wen wollt ihr bestrafen?», fragte ich. «Den Marschall? Wollt ihr ihm aufs Grab pissen?»
«Geht nicht, ist bewacht», antwortet Rudzik – mit vollem Ernst!
Sie hören gar nicht zu.
«Hör mal, Kostek, ist doch einfach, erst nach Krakau, von Krakau nach Budapest und so weiter, über die Tatra auf Skiern oder so, und in Budapest, hilft angeblich das Honvéd-Ministerium sehr, Minister Bartha hilft, wenn sie dich internieren, lassen sie dich auch gleich wieder frei, und wenn du frei bist, gehst du nach Constanza und dort hopp auf ein Schiff und ins Mittelmeer bis nach Marseille. Dort sind frische Kräfte, der Alliierte gibt uns Panzer, wir werden den Deutschen schlagen, den Bolschewiken werden wir schlagen, alle werden wir schlagen, für eure Freiheit, hurra, auf nach Berlin, so sind wir! Vivat! Vivat!»
«Wäre es dann nicht einfacher gewesen, sie hätten uns schon im August welche gegeben?», frage ich.
Sie schenken mir böse Blicke, empört hochgezogene Brauen, und ich frage mich, ob sie das Wort schon auf der Zunge haben oder noch nicht, ihre Augen ähneln den mit Papierstreifen verklebten Fenstern. Auf der Zunge liegt es ihnen, aber sie halten sich zurück, haben Angst, das Leben ist auch so schon zu kompliziert, muss man sich nicht noch ein Kameradschaftsgericht einhandeln. Also lassen sie’s.
Rudzik nimmt eine Zeitung.
«Was ist das?», frage ich.
Rudzik zuckt mit den Schultern. Was schon? Der neue «Kurjer Warszawski». Den alten «Kurjer Warszawski» gibt’s nicht mehr, aber hier, bitte, die erste Ausgabe des neuen. Auf der Titelseite gibt es «Wichtige Erklärungen zu den Ereignissen, die dem deutsch-polnischen Konflikt vorausgingen» und daneben: «Churchillismus. Ein interessanter Artikel von Bernard Shaw». Ich lese den Verfassernamen. Franciszek Sowiński, kenne ich nicht. Bestimmt ein Pseudonym: Das Jüngelchen hat Angst, dass niemand ihm mehr die Hand gibt, weil er sich den Deutschen andient.
Ein Kerl im Mantel setzt sich zu uns, Rudzik und er begrüßen sich wie alte Freunde. Ein Offizier, alles Offiziere.
Er guckt mich an. Klein, Bauch wie ein Fußball, aber das Gesicht hager.
«Gestatten, Kalabiński. Oberst.»
Und streckt die Pfote aus, also drücke ich sie.
«Willemann. Trinker», erwidere ich.
Sie lachen beide, Kalabiński und Rudzik.
«Der Leutnant ist ein Witzbold», sagt Rudzik, damit der bescheuerte Oberst ja nicht einen Augenblick daran zweifelt, dass er mit einem Offizier redet, auch wenn man mir den Unteroffizier doch sofort ansieht, zwar nur Reserve, aber Offizier
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