Morphin
bleibt Offizier.
«Der Herr Oberst ist auch aus Schlesien», fügt er hinzu.
«Aus Sosnowiec», korrigiert Kalabiński. «Sie sind Schlesier?»
«Nein», bestreite ich. «Warschauer. In Schlesien nur geboren.»
Er bohrt nicht nach, glücklicherweise.
«Furchtbar haben wir uns in Schlesien geschlagen», sagt er stattdessen, sagt es in den Raum hinein, nicht zu mir. «Und danach die ganze Zeit. Haben Sie gekämpft?»
Ich schaue ihn so an, dass er meinen Widerwillen sieht.
«Nur in Kneipen mit dem Zuhälter, wenn die Nutte mich nicht umsonst ranlassen wollte», erwidere ich.
«Och, Herr Willemann hat im Neunten Ulanen-Regiment gekämpft!», erklärt Rudzik eilig und lacht unsicher.
Und schenkt Kalabiński nach. Der kippt es runter.
«Da fällt mir eine lustige Sache ein», sagt er, wie vom Wodka befeuert, dämpft aber plötzlich die Stimme. «Wir waren in so einem Städtchen, Stopnica, voller Juden, und da kommt ein Bus mit Deutschen, wir halten drauf, und nachher kommt raus – das waren Musiker! Militärkapelle, alle in Uniform. Der Bus durchsiebt, die Musikanten auch, die Trompeten durchlöchert, Mensch. Dumm gelaufen, Gewehre hatten sie keine, bloß ihre Tröten.»
Mir ist zum Kotzen.
Ich trinke den Wodka aus, habe die Ehre, mich hält hier nichts.
Ich gehe. Muss nachsehen, wie es Hela und Jurek geht, mich erkundigen, Zuwendung schenken, Zärtlichkeiten. Aber erst mal etwas für den Geist. Also ins Ujazdowski-Krankenhaus.
Ich verlasse das Lours, ich werde sonst krank von der Niederlage.
Meine Stadt, nicht mehr die meine, durchlöchert, ich gehe die Krakowskie Przedmieście entlang, da läuft ein Trupp Kaftanjuden mit Spaten, in Dreiergruppen, mit Bart und Käppele, etwa dreißig. Gehen zu irgendeiner Arbeit, eskortiert von drei Deutschen in Uniformen, aber keine Wehrmacht, der Oberst hat mir erklärt: Nur die Wehrmacht trägt den deutschen Adler auf der linken Brust, die anderen bewaffneten Formationen nicht. Und solche Formationen gibt es viele. Diese hier haben keine Adler. Weiß der Teufel, eine Art Polizei oder SS . Die Leute treten beiseite, wenden sich ab, die Juden unter deutscher Eskorte laufen mitten auf der zerstörten Straße.
Und ich gehe weiter, den Nowy Świat entlang, auf dem Nowy Świat habe ich noch kürzlich ähnliche Kolonnen mit Spaten gesehen, in Anzug und Hut. Freiwillige gingen für die Verteidigung Warschaus Gräben ausheben. Jetzt sind nur noch Gräber, wo einst die Fahrbahn war, auch keine Busse, Bauernfuhrwerke statt Straßenbahnen, da fährt so eins, auf dem Wagen sitzen ganz ruhig fünfzehn Warschauer in Mantel und Hut, die Aktentasche auf den Knien, es fehlt wenig, und so einer schlägt die Knie übereinander und liest Zeitung, als fahre er mit dem Taxi zur Premiere des neuen Szaniawski ins Atheneum. An den Mauern hängen statt Flugblättern handgeschriebene Zettel:
«An Józef Marecki. Deine Frau und Kinder. Józeczek, das Haus ist zerstört, wir sind bei Staś’s in Grochów. Warten!» – «Verkaufe Ausstellungstauben, Wierzbowa 14 , nach Andrzej fragen.»
Die Wierzbowa ist abgebrannt, ich war kurz vor der Kapitulation noch dort. Hunderte von solchen Zetteln. Vor den Zetteln stehen Leute, suchen, fragen. Fangen Sie hier an, ich dort, falls Sie den Namen Marian Kowalczyk sehen, sagen Sie mir Bescheid, gute Frau, und wen suchen Sie, dann schau ich danach. Und wie alt? Ein Unglück, ach, so ein Unglück.»
Weiter gehe ich, die Wiejska hoch. Ich suche niemanden, keiner geht mich etwas an, nur Hela und Jureczek, und sie sind sicher in unserer Wohnung. Die Bodenplatten teils herausgerissen, für die Barrikaden, auf dem Bürgersteig Schlamm, meine Halbschuhe sofort verdreckt, auf der Straße Schmodder und Fuhrwerke, in zwei Wochen haben sie uns um zweihundert Jahre zurückgeworfen. Die Barrikaden sind schon wieder aufgebrochen, beiseitegeräumt, aber das Trottoir hat noch niemand neu gepflastert.
Wieder zwei Deutsche, Soldaten. Mäntel, Gurte, Feldmützen. Die Leute glotzen sie an, als hätten die gerade ihre Mutter vergewaltigt, umgebracht und aufgegessen. Vielleicht haben sie ja auch wen umgebracht oder vergewaltigt, wer weiß. Aufgegessen wohl kaum, und die beiden haben vermutlich nicht einmal getötet, eher hat ihr Flieger getötet, das Flugzeug mit seinen Bomben.
Junge Soldaten, sie schauen etwas verschreckt aus der Wäsche, unbewaffnet, was lauft ihr hier durch die Stadt, die euer General erobert hat, schließlich hast nicht du sie erobert, Soldat, erobern
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