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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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sieht mich prüfend an. Jacek, mein Jacek. Jacuś. Rostański. Mein Lieber. Überlegt er, ob ich das wirklich könnte, mich erschießen?
    «Versteckst du irgendwo eine Pistole, du Idiot?»
    Ich schweige. Vielsagend.
    «Ich gebe dir nichts, mach keine Panik, du hast Frau und Sohn. Selbst wenn ich was hätte, würde ich dir nichts geben, aber ich habe nichts. Alles wird hier gebraucht. Für die Verwundeten, verdammter Mist.»
    «Wenigstens zwei Fläschchen, Jacuś, mein Lieber, ich flehe dich an», sage ich, ohne mich zu erniedrigen, flehend, aber hartnäckig.
    Er seufzt. «Pervitin kann ich dir geben.»
    Da weiß ich, dass er nachgibt.
    «Von den Deutschen gekauft, schwarz.»
    «Ich will kein verdammtes Pervitin.»
    «Ich hab aber nur Pervitin.»
    «Du lügst. Was soll ich mit Pervitin? Wozu brauchst du Pervitin?»
    «Sie haben es billig verkauft, da hab ich’s genommen. Was anderes habe ich nicht!»
    «Doch, hast du!»
    Er seufzt. Schweigt. Schüttelt den Kopf.
    «Idiot. Eine gebe ich dir. Das letzte Mal. Bis der Krieg vorüber ist.»
    Ich drücke ihn, er windet sich, ich küsse ihn auf beide Wangen, Jacek holt das Wunderfläschchen aus dem Safe, ich stecke es sofort in die Tasche und herze ihn noch einmal, dann drehe ich mich um und will gehen.
    «Kostek …», fängt er an, die Stimme hebend, als ich schon in der Tür stehe.
    Ich drehe mich um, er sieht mich an, der begonnene Satz hängt in der Luft.
    «Kostek …»
    «Ja, was denn?»
    Er hat Angst. Bringt es nicht fertig, den Satz zu beenden, und winkt ab.
    «Ich werde mich nach ihr umschauen, alter Freund, das verspreche ich dir», sage ich energisch wie ein Soldat beim Appell. «Und ich werde sie finden, ich finde sie bestimmt. Ständig werden jetzt Leute gefunden.»
    Jacek winkt noch einmal ab, ich geh raus und höre vor der Tür, wie er sich auf die Liege niederlässt, die Federn quietschen nicht von der Last seines ausgemergelten Kleinjungenkörpers, sondern von der Last der Angst und Sorge, des Wehs. Und der Sehnsucht.
    Ich gelobe mir hoch und heilig, das Versprechen zu halten, ich werde meine Fühler ausstrecken, hätte ich schon vorhin im Lours machen können, es war mir nur irgendwie entfallen. Ich war vom Morgen an drauf bedacht gewesen, dass nun endlich Schluss ist mit Nüchternheit, deshalb. Eine Schande, die Frau meines Freundes, Iga, einfach vergessen …
    Aber ich werde mich umsehen und suchen.
    Deshalb spüre ich leichte Gewissensbisse, doch als ich in die Stadt komme, hat diese, nicht mehr meine Stadt, schon andere Farben angenommen: Das Fläschchen in meiner Tasche war es, das die hohläugigen Häuser schon etwas bunter strahlen lässt, Häuser mit skalpierten Dächern, ausgeweideten Wohnungen. Ich weiß: Noch heute werde ich all das Grau verlassen, werde dorthin fliehen, wo mich kein Deutscher und kein Bolschewik erreicht, wo weder unser Oberst noch patriotische Matronen mich kriegen und auch keine Greise, die sich noch an den Januaraufstand erinnern, mich kriegt dort keiner, da können sie mir im Galopp auf ihren Stöcken, in Pekeschen und Konfederatkas nachhinken, die Zukunft des Volkes erreicht mich so wenig wie seine Vergangenheit, die Elektrifizierung nicht, keine Kristallradios und auf Dorfbäumen aufgespannte Antennen, weder die Bauernfrage kriegt mich noch die Demokratie, nichts und niemand. Auch mein Vater kriegt mich dort nicht, ich erinnere mich an ihn vor dem Krieg, an seinen hellen, schütteren Schnurrbart und wie er meinen Namen durch seine zusammengekniffenen Lippen zischt.
    «Konstantin!», zischelt mein junger Vater.
    Er wird mich nicht kriegen dort, wird mich nicht fassen können aus seinem Grab.
    Leichten Schritts gehe ich die Szucha und die Puławska entlang, ganz in der Nähe haben wir vor zwei Wochen gekämpft, heute laufe ich über die Gräber der Kameraden und über das Blut unserer Pferde und pfeife beinahe. Ein Fahrrad wäre jetzt gut, denke ich und komme schließlich in Mokotów an, bei Hela und Jureczek, an unserem Wedel-Mietshaus, Neuzeit und Moderne, glatte Wände und Gesims, ohne Dekor und Voluten, modern wie das Aeroplan und der Luxtorpeda-Zug. Ich schaue auf die Uhr, die meines Vaters, eine Electa mit roter Zwölf, aus dem vorherigen Krieg: Das Zifferblatt zeigt siebzehn.
    Auf einem Rad könnte ich jetzt eine Weile sitzen und käme rechtzeitig zurück. Vor unserem Haus bleibe ich stehen und denke daran, dass Hela vielleicht meine Taschen abtasten wird. Ich könnte das Fläschchen irgendwo verstecken, im Tor

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