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Morphium

Morphium

Titel: Morphium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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nicht gezeigt. Sie müssen eine große Selbstbeherrschung besitzen.«
    Elinor presste ihre Lippen zusammen.
    »Ich habe gelernt, meine – Gefühle nicht zu zeigen.«
    »Trotzdem – die Maske muss hie und da abgleiten.«
    Schwester Hopkins war ins Badezimmer gegangen. Elinor sagte, ihn voll ansehend, die zarten Augenbrauen gehoben:
    »Die Maske?«
    »Das menschliche Antlitz ist mehr oder weniger nichts anderes als eine Maske.«
    »Und darunter?«
    »Darunter steckt der nackte Mensch.«
    Sie wandte sich rasch ab und ging voraus die Treppe hinunter. Peter Lord folgte, ein wenig verwirrt und ungewöhnlich ernst. Roddy kam ihnen in der Halle entgegen.
    »Nun?«, fragte er besorgt.
    »Arme Tante! Es ist sehr traurig, sie zu sehen… Ich ginge nicht hinein an deiner Stelle, Roddy – bis – bis – sie nach dir verlangt.«
    »Wünschte sie etwas Besonderes?«, fragte Roddy.
    Peter Lord verabschiedete sich von Elinor.
    »Ich muss jetzt gehen. Für den Augenblick kann ich nichts mehr tun. Morgen früh schaue ich wieder herein. Auf Wiedersehen, Miss Carlisle. Nehmen Sie sich’s nicht zu sehr zu Herzen!«
    Er hielt ihre Hand ein paar Sekunden lang in der seinen. In seinem Händedruck lag etwas seltsam Beruhigendes und Tröstliches. Er sieht mich etwas merkwürdig an, dachte Elinor, so, als täte ich ihm Leid.
    Als sich die Tür hinter dem Arzt schloss, wiederholte Roddy seine Frage, und Elinor erklärte.
    »Tante Laura macht sich Sorgen um – um gewisse geschäftliche Dinge. Es gelang mir, sie zu beruhigen, indem ich ihr sagte, dass Mr Seddon morgen bestimmt herkommen würde. Wir müssen ihn früh gleich anrufen.«
    »Will sie ein neues Testament machen?«
    »Gesagt hat sie es nicht.«
    »Was hat sie –?«
    Er hielt mitten in seiner Frage inne.
    Mary Gerrard kam die Treppe heruntergelaufen. Sie durchquerte die Halle und verschwand hinter der Tür zu den Wirtschaftsräumen.
    Elinor sagte mit rauer Stimme:
    »Ja? Was wolltest du fragen?«
    Roddy murmelte zerstreut:
    »Ich – was? Ich hab es vergessen.«
    Er starrte auf die Tür, durch die Mary Gerrard gegangen war. Elinors Hände schlossen sich. Sie fühlte, wie sich ihre langen, spitzen Nägel in ihr Fleisch bohrten.
    Sie dachte: »Ich kann’s nicht ertragen – ich kann’s nicht ertragen… es ist nicht Einbildung… Es ist wahr… Roddy, Roddy, ich darf dich nicht verlieren… Was hat dieser Mann – der Doktor – was hat er in meinem Gesicht gesehen? Er sah etwas… O Gott, wie furchtbar das Leben ist – so zu fühlen, wie ich jetzt fühle. Sag doch etwas, du Närrin! Reiß dich zusammen!«
    Laut sagte sie mit ihrer ruhigen Stimme:
    »Ja, wegen des Essens, Roddy. Ich bin nicht sehr hungrig. Ich bleibe bei Tante Laura, und die Schwestern können beide herunterkommen.«
    Roddy sah sie betroffen an:
    »Und mit mir essen?«
    Elinors Stimme war kalt:
    »Sie werden dich nicht beißen!«
    »Aber was ist mit dir? Du musst doch auch etwas essen! Warum essen wir nicht erst, und sie können dann drankommen?«
    »Nein, auf die andere Art ist es besser«, und sie fügte hinzu: »Sie sind so empfindlich, weißt du.«
    Sie dachte: Ich kann nicht eine ganze Mahlzeit lang allein mit ihm dasitzen – reden – mich benehmen wie sonst…
    »Ach, lass mich doch die Dinge einteilen, wie ich will«, sagte sie gereizt.

4
     
    E linor wurde am nächsten Morgen nicht vom Hausmädchen geweckt; es war Mrs Bishop selbst, die bitterlich weinend hereinkam.
    »Oh, Miss Elinor, sie ist tot…«
    »Was?«
    Elinor setzte sich im Bett auf.
    »Ihre liebe Tante, Mrs Welman. Meine geliebte Herrin! Sie ist im Schlaf dahingegangen.«
    »Tante Laura? Tot?«
    Elinor starrte sie an, sie schien unfähig, es zu begreifen.
    Mrs Bishop weinte immer stärker.
    »Wenn man bedenkt«, schluchzte sie, »nach all diesen Jahren! Achtzehn Jahre bin ich nun da! Aber es kommt mir gar nicht so vor…«
    »Also im Schlaf ist Tante Laura gestorben – ganz friedlich… Welcher Segen für sie!«
    »So plötzlich! Der Doktor sagte noch, er käme früh wieder, und alles ganz so wie sonst!«
    Elinor sagte etwas scharf:
    »So plötzlich ja nun auch wieder nicht. Schließlich war sie ja längere Zeit krank. Ich danke Gott, dass ihr ein längeres Leiden erspart wurde.«
    Mrs Bishop nickte unter Tränen, dass man dafür wirklich Gott danken müsse, und fügte hinzu: »Wer wird es Mr Roderick sagen?«
    »Ich werde es tun«, murmelte Elinor.
    Sie warf einen Schlafrock über, ging zu seiner Tür und klopfte. Seine Stimme antwortete:

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