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Morphium

Morphium

Titel: Morphium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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eine Art Aberglauben dabei. Die Leute denken, sie haben noch eine Menge Zeit; die bloße Tatsache, dass sie ein Testament machen, scheint ihnen die Möglichkeit des Todes näher zu bringen. Sehr sonderbar – aber so ist es!«
    »Haben Sie ihr nie Vorhaltungen deswegen gemacht?«
    Mr Seddon erwiderte trocken:
    »Häufig.«
    »Und was sagte sie?«
    »Das Übliche. Dass noch Zeit genug sei! Dass sie nicht die Absicht habe, schon zu sterben! Dass sie sich noch nicht genau entschlossen habe, wie sie über ihr Geld verfügen wolle-!«
    »Aber nach ihrem ersten Schlaganfall –?«, fragte Elinor.
    Mr Seddon schüttelte den Kopf.
    »O nein, da war es noch schlimmer; da wollte sie erst recht nichts von der Sache hören!«
    »Aber das ist doch wirklich höchst merkwürdig?«
    »O nein. Ihre Krankheit machte sie natürlich noch ängstlicher.«
    »Aber sie wollte ja sterben…«
    Mr Seddon wischte an seiner Brille herum.
    »Ach, meine liebe Miss Elinor, der menschliche Sinn ist ein sehr merkwürdiger Mechanismus. Mrs Welman mag geglaubt haben, dass sie sterben wolle, doch neben diesem Gefühl ging die Hoffnung einher, dass sie wieder ganz gesund werden würde. Und deshalb, glaube ich, fürchtete sie, dass es ihr Unglück bringen könnte, ein Testament zu machen. Sie beabsichtigte zwar immer, eines zu machen, aber morgen war vielleicht ein besserer Tag dafür als heute! Schließlich war ja noch Zeit genug…«
    Elinor sagte langsam:
    »Deshalb war sie gestern Abend so aufgeregt – förmlich in Panik, dass man nach Ihnen schicken soll…«
    Mr Seddon erwiderte: »Zweifellos!«
    »Und was geschieht jetzt?«
    »Mit Mrs Welmans Vermögen?« Der Rechtsanwalt hustete.
    »Da Mrs Welman ohne Testament starb, fällt ihr gesamtes Vermögen an ihre nächste Verwandte – an Miss Elinor Carlisle.«
    »Alles an mich?«
    »Die Krone bekommt einen bestimmten Prozentsatz«, erklärte Mr Seddon. Er erläuterte die Einzelheiten und sagte abschließend:
    »Mrs Welmans Geld war ihr uneingeschränktes Eigentum – keine Stiftung beteiligt, keine Gesellschaft. Nur die Erbsteuer – hm – wird ziemlich hoch sein, fürchte ich, trotzdem bleibt auch danach noch ein bedeutendes Vermögen, das in sicheren Papieren angelegt ist.«
    »Aber Roderick – «
    Mr Seddon hüstelte verlegen.
    »Mr Welman ist nur der Neffe von Mrs Welmans Mann, es besteht keine Blutsverwandtschaft.«
    »Richtig«, bestätigte Roddy.
    »Natürlich ist ziemlich egal, wer von uns es bekommt, da wir ja heiraten werden.«
    Elinor schaute Roddy bei diesen Worten nicht an.
    Nun war Mr Seddon an der Reihe »Richtig!«, zu sagen. Er sagte es ziemlich rasch, dann verabschiedete er sich.
     
    »Es ist doch ziemlich egal, oder?«, fragte Elinor in fast entschuldigendem Ton.
    In Roddys Gesicht zuckte es nervös. »Du bekommst, was dir zusteht, Elinor. Glaub bitte um Himmels willen nicht, dass ich es dir missgönne. Ich brauche das verdammte Geld nicht!«
    Elinor sagte mit etwas unsicherer Stimme:
    »Wir waren uns doch einig, Roddy, dass es egal sei, wer von uns es bekäme, da – da wir doch heiraten wollten…?«
    Er antwortete nicht, und sie beharrte:
    »Erinnerst du dich nicht, das gesagt zu haben, Roddy?«
    »Ja.«
    Er blickte auf seine Füße. Sein Gesicht war blass und finster, ein schmerzlicher Zug lag um seinen sensiblen Mund.
    Elinor hob plötzlich tapfer den Kopf.
    »Aber werden wir auch wirklich heiraten, Roddy?«
    »Ich habe das angenommen.«
    Sein Ton war gleichgültig mit einer leisen Spur von Schärfe.
    »Natürlich, Elinor, wenn du jetzt andere Pläne hast…«
    »Ach, Roddy, kannst du nicht ehrlich sein?«
    Er zuckte zusammen.
    Dann sagte er mit leiser, verwirrter Stimme:
    »Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist…«
    Elinor antwortete mit erstickter Stimme:
    »Ich weiß es…«
    »Mir gefällt der Gedanke nicht recht, dass ich vom Geld meiner Frau leben soll…«
    Elinor war jetzt ganz blass im Gesicht.
    »Das ist es nicht… Es ist etwas anderes…«
    Sie zögerte, dann sagte sie: »Es ist Mary, nicht wahr?«
    Roddy murmelte unglücklich:
    »Nun – ja. Woher weißt du es?«
    Elinors Mund verzog sich zu einem gezwungenen Lächeln.
    »Es ist nicht schwer… jedes Mal, wenn du sie ansiehst – steht es in deinem Gesicht geschrieben – für jeden, der es lesen will…«
    Plötzlich brach seine Fassung zusammen.
    »Ach, Elinor, ich weiß nicht, was mit mir los ist! Ich glaube, ich werde verrückt! Es geschah, als ich sie an jenem ersten Tag im Wald sah… ihr Gesicht –

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