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Morphium

Morphium

Titel: Morphium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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»Herein.«
    Sie trat ein.
    »Tante Laura ist tot, Roddy. Sie starb im Schlaf.«
    Roddy, der sich aufgesetzt hatte, seufzte tief auf.
    »Arme, liebe Tante Laura! Gott sei Dank, möchte ich sagen, ich hätte es kaum ertragen, sie noch länger in dem Zustand zu sehen, in dem sie gestern war.«
    Elinor fragte mechanisch:
    »Ich wusste nicht, dass du sie gesehen hast.«
    Er nickte etwas geniert.
    »Die Wahrheit ist, Elinor, ich fühlte mich so schrecklich feig, weil ich dem ausgewichen war. So ging ich gestern Abend noch hinein. Die Schwester, die dicke, verließ das Zimmer – ich glaube, mit einer Wärmflasche –, und ich schlüpfte hinein. Sie wusste nicht, dass ich da war, natürlich. Ich stand nur eine Weile rum und schaute sie an. Dann, als ich die Schwester herauftappen hörte, glitt ich hinaus. Aber es war – nun, schrecklich!«
    »Ja, das war es.«
    »Es wäre eine fürchterliche Qual für sie gewesen – jede einzelne Minute lang!«
    »Ich weiß.«
    »Es ist wunderbar – die Art, wie du und ich die Dinge immer vom gleichen Standpunkt sehen.«
    »Ja, wirklich.«
    Roddys Stimme klang erleichtert.
    »Wir empfinden beide genau dasselbe in diesem Augenblick: nichts als Dankbarkeit, dass sie erlöst ist…«
     
    Schwester O’Brien fragte:
    »Was ist denn, Schwester? Suchen Sie etwas?«
    Schwester Hopkins durchsuchte etwas aufgeregt mit gerötetem Gesicht das kleine Köfferchen, das sie am vorhergehenden Abend in der Halle abgestellt hatte.
    »Zu ärgerlich! Wie mir das passieren konnte, kann ich mir nicht vorstellen!«
    »Was ist denn?«
    Schwester Hopkins erwiderte nicht sehr klar:
    »Elisa Rykin – die mit dem Sarkom, wissen Sie – bekommt immer doppelte Injektionen – morgens und abends – Morphium. Ich gab ihr gestern Abend auf meinem Weg hierher die letzte Tablette im alten Röhrchen und hätte schwören können, dass ich das neue Röhrchen auch hier drinnen hatte.«
    »Schauen Sie noch einmal; diese Röhrchen sind ja so klein.«
    Schwester Hopkins wühlte wieder im Köfferchen.
    »Nein, es ist nicht da! Ich muss es doch in meinem Schrank gelassen haben! Ich glaubte wirklich, mich auf mein Gedächtnis besser verlassen zu können; ich hätte schwören können, es mitgenommen zu haben!«
    »Sie haben den Koffer nicht irgendwo stehen gelassen auf Ihrem Weg hierher?«
    »Natürlich nicht!«
    Schwester Hopkins’ Stimme klang scharf.
    »Nun dann, meine Liebe«, meinte Schwester O’Brien, »dann muss es ja in Ordnung sein, nicht?«
    »Ach ja! Der einzige Ort, wo ich den Koffer abgestellt habe, war hier in der Halle, und hier würde doch niemand etwas nehmen! Nur mein dummes Gedächtnis ist schuld. Aber es ärgert mich, das verstehen Sie, Schwester. Außerdem muss ich jetzt erst bis ans andere Ende des Dorfes nach Hause gehen und dann wieder zurück.«
    »Hoffentlich haben Sie nach dem gestrigen Abend keinen zu anstrengenden Tag, meine Liebe. Arme alte Dame! Ich dachte mir schon, dass es nicht mehr lange dauern würde.«
    »Ich auch. Aber ich vermute, der Doktor wird überrascht sein.«
    Schwester O’Brien erklärte mit einem Anflug von Missbilligung:
    »Er ist immer so hoffnungsvoll bei seinen Fällen!«
    »Ah, er ist jung. Er hat eben noch nicht unsere Erfahrung«, sagte Schwester Hopkins düster und entschwand.
     
    Dr. Lords sandfarbene Augenbrauen zogen sich so weit in die Stirn hinauf, dass sie beinahe sein Haar berührten.
    »Gestorben ist sie – wie?«
    »Ja, Doktor.«
    Auf Schwester O’Briens Zunge brannten Einzelheiten darauf, erzählt zu werden, doch sie wartete mit strenger Disziplin.
    Peter Lord wiederholte nachdenklich:
    »Gestorben –?«
    Er stand noch in Nachdenken versunken ein paar Minuten da, dann befahl er scharf:
    »Holen Sie mir kochendes Wasser.«
    Schwester O’Brien war erstaunt und kannte sich nicht aus, jedoch getreu dem Geiste ihrer Ausbildung gehorchte sie schweigend. Hätte ihr ein Arzt befohlen, die Haut eines Alligators zu holen, hätte sie automatisch gemurmelt: »Ja, Doktor«, und wäre gehorsam aus dem Zimmer geglitten, um die Sache in Angriff zu nehmen.
     
    Roderick Welman fragte:
    »Wollen Sie damit sagen, dass meine Tante ohne Testament gestorben ist – dass sie überhaupt nie ein Testament gemacht hat?«
    Mr Seddon putzte seine Brille und nickte.
    »So sieht es aus.«
    Roddy murmelte:
    »Aber das ist ungewöhnlich!«
    Mr Seddon hustete entschuldigend.
    »Nicht so ungewöhnlich, wie Sie sich vielleicht vorstellen. Es passiert öfter, als man glauben möchte. Es ist

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