Morphium
einen Augenblick.
»Nun, sie ist eine von denen, die es nicht gern sehen, wenn es jungen Leuten zu gut geht oder wenn etwas für sie getan wird. Denkt vielleicht, dass Mrs Welman Sie zu gern hat, und ärgert sich darüber. Ich würde mir an Ihrer Stelle darüber keine grauen Haare wachsen lassen, meine liebe Mary. Öffnen Sie mal diese Tüte, ja? Da sind zwei Kuchenstücke drin.«
3
» T ante hatte heute Nacht zweiten Schlaganfall. Kein Grund zu a u genblicklicher Beunruhigung, glaube aber, Sie sollten herkommen, Lord.«
Elinor hatte sofort nach Erhalt des Telegramms Roddy angerufen, und nun saßen sie zusammen im Zug nach Hunterbury.
In der Woche, die seit ihrem Besuch vergangen war, hatte Elinor Roddy nur zweimal gesehen, und beide Male hatte eine seltsame Spannung zwischen ihnen geherrscht. Roddy hatte ihr Blumen geschickt – einen großen Strauß langstieliger Rosen. Das war ungewöhnlich für ihn. Bei dem Abendessen, das sie miteinander eingenommen hatten, schien er aufmerksamer als sonst, berücksichtigte bei der Auswahl von Speisen und Getränken mehr denn je ihren Geschmack und half ihr außergewöhnlich eifrig beim Aus- und Anziehen ihres Mantels. Es war ein wenig, dachte Elinor, als spiele er eine Rolle in einem Stück – die Rolle des liebevollen Bräutigams… Dann hatte sie sich aber gesagt: Sei nicht blöd! Es ist alles in Ordnung… Du bildest dir Sachen ein! Das kommt alles von deinen übertriebenen Besitzansprüchen. Und ihm gegenüber war sie vielleicht noch eine Idee ferner und kühler gewesen als sonst.
Doch nun, angesichts dieser plötzlichen Erschütterung, war die Spannung verschwunden, und sie sprachen wieder ganz natürlich miteinander.
Roddys Stimme klang bedrückt.
»Arme alte Tante! So gut ging es ihr, als wir bei ihr waren!«
»Sie tut mir entsetzlich Leid. Ich weiß, wie sie das Kranksein überhaupt hasst, und jetzt wird sie noch hilfloser werden, das wird einfach schrecklich sein für sie. Ich glaube, Roddy, dass man die Menschen erlösen sollte wenn sie es selbst wirklich wünschen.«
»Da stimme ich dir zu, es ist die einzig humane Behandlung. Tiere befreit man doch auch von ihrem Schmerz. Ich vermute, bei Menschen tut man es nur deshalb nicht, weil, wie die menschliche Natur nun einmal beschaffen ist, Kranke sonst um ihres Geldes willen von ihren lieben Verwandten aus dem Wege geräumt würden – obwohl es vielleicht gar nicht so schlimm um sie steht.«
»Es läge natürlich in den Händen des Arztes.«
»Ein Arzt könnte auch ein Schuft sein.«
»Einem Menschen wie Dr. Lord könnte man vertrauen.«
»Ja, er scheint ein redlicher Mensch zu sein. Netter Kerl.«
Dr. Lord beugte sich über das Bett. Schwester O’Brien stand hinter ihm. Er bemühte sich angestrengt, die undeutlichen Laute zu verstehen, die aus dem Mund seiner Patientin kamen.
»Ja, ja. Regen Sie sich nicht auf. Nehmen Sie sich Zeit. Heben Sie einfach die rechte Hand, wenn Sie ›ja‹ meinen. Etwas quält Sie?«
Er erhielt das bejahende Zeichen.
»Etwas Dringendes? Ja. Etwas, das geschehen soll? Jemand soll geholt werden? Miss Carlisle? Und Mr Welman? Sie sind schon auf dem Weg.«
Wieder versuchte Mrs Welman zu sprechen. Dr. Lord lauschte aufmerksam.
»Die wollten Sie auch sehen, aber das meinten Sie nicht? Jemand anderen? Verwandte? Nein? Etwas Geschäftliches? Ich verstehe, etwas, das mit Geld zu tun hat? Rechtsanwalt? Das ist richtig, nicht wahr? Sie wollen Ihren Rechtsanwalt sprechen? Wollen ihn mit etwas beauftragen? Nun, nun – ist schon in Ordnung. Seien Sie nur ruhig. Zeit genug. Was wollen Sie sagen – Elinor?« Er fing den gestammelten Namen auf. »Sie weiß, welchen Rechtsanwalt? Und sie wird es mit ihm abmachen? Gut. Sie wird in einer halben Stunde hier sein. Ich werde ihr sagen, was Sie wünschen, und komme dann mit ihr herauf, und wir bringen die Sache in Ordnung. Also, jetzt quälen Sie sich nicht mehr, überlassen Sie alles mir. Ich werde dafür sorgen, dass alles so gemacht wird, wie Sie es wünschen.«
Er beobachtete noch einen Augenblick, wie sie sich entspannte, dann ging er leise hinaus auf den Flur. Schwester O’Brien folgte ihm. Schwester Hopkins kam gerade die Treppe herauf. Er nickte ihr zu.
»Guten Abend, Herr Doktor.«
»Guten Abend, Schwester.«
Er ging mit den beiden in Schwester O’Briens Zimmer und gab ihnen Verhaltensmaßregeln; Schwester Hopkins sollte über Nacht dableiben und sich mit Schwester O’Brien in die Pflege teilen.
»Morgen muss
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