Morphogenesis
zitternden Muskeln zu entspannen.
Ich musste eingeschlafen sein. Jeder einzelne Knochen tat mir vom langen Liegen auf dem harten Untergrund weh. Ich setzte mich auf, sah an mir herab – und erschrak: Vor mir hockte eine alte Bekannte und nestelte an meinen Füßen herum. Dass ich nichts davon gespürt hatte, lag daran, dass beide Füße von meiner vielbeinigen Besucherin in glänzend weiße Kokons gesponnen worden waren. Ich wollte mich losreißen und von ihr wegkriechen, doch ebenso gut hätte ich versuchen können, mich aus einer Betonwand zu befreien.
Das Spinnenmonster saß auf den Kokons und putzte ausgiebig seine Flügel. Als es damit fertig war, quoll ein schlaffes, weißes Gebilde aus einer Öffnung unterhalb seines Kopfes und wuchs bis auf Handlänge heraus. Das Organ schwoll an, als blase das Wesen einen Ballon auf. Als dieser schließlich so groß war, dass ich mühelos darin Platz gefunden hätte, hob er das Geschöpf in die Höhe. Es stieg rasch empor, korrigierte mit seinen Flügeln die Richtung und schwebte davon.
Ich beugte mich vor und betastete die Kokons. Sie fühlten sich warm an, gaben unter dem Druck meiner Fingerspitzen aber keinen Millimeter nach. Die Spinne hatte meine Füße regelrecht einzementiert. Ich riss und zerrte an der Fessel und gab erst dann erschöpft auf, als Blut über meine Waden rann. Als ich mich umsah, entdeckte ich in Griffweite eine rostige, daumendicke Eisenstange, die aus der Seite des Felsblocks herausragte. Ich streckte mich, um sie zu erfassen, rüttelte an ihr und hielt sie prompt in der Hand. Sie war an der Stelle, wo sie im Fels gesteckt hatte, vollkommen durchgerostet, sonst jedoch stabil. Ich schlug sie ein paar Mal gegen das Gestein. Rostsplitter platzten ab und wirbelten durch die Luft. Das Dröhnen der Schläge irrte gespenstisch durch die Halle und brach in der Ferne ab, als hätte es jemand verschluckt. Als ich sicher war, dass die Stange eine Reihe wuchtiger Hiebe aushalten würde, hob ich sie über den Kopf, zählte bis drei, schloss die Augen und schlug zu.
Der Aufprall war so heftig, dass ich das Gefühl hatte, er reiße mir die Finger ab. Ich ließ die Stange los und drückte die taub gewordenen Hände mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Schoß. Der Schlag hatte jedoch seine Wirkung nicht verfehlt. Der linke Kokon war aufgeplatzt wie eine Gipsschale. Außer meinen Zehen hatte er jedoch noch etwas anderes befreit, das ich ungläubig anstarrte. Von Panik und Ekel überwältigt schlug ich es mit der Stange zu einem bräunlich-weißen Brei, der zäh über den Kokon troff. Dann drosch ich wie ein Berserker auf die zweite Hülle ein und schlug dabei einmal zu viel und zu fest zu. Den Schmerz in meinen Zehen kaum wahrnehmend, riss ich den Fuß aus den Überresten des kristallinen Gebildes und rutschte ein Stück nach hinten. Nur langsam beruhigten sich meine Nerven und das Hämmern in meiner Brust. Das Ding, das in den Trümmern des Kokons zuckte und pulsierte, war eine zwanzig Zentimeter große Larve!
Mit zwei Hieben tötete ich das sich windende Scheusal, kroch zum Rand des Felsens und ließ mich zu Boden sinken. An meiner Wade entdeckte ich eine angeschwollene Bisswunde, die darauf schließen ließ, dass mich das Spinnenwesen im Schlaf betäubt hatte. Nicht auszudenken, was mich erwartet hätte, wäre ich nicht rechtzeitig erwacht. Womöglich wäre ich mit Kokons übersät gewesen …
Ich humpelte zum Ufer und wusch mir Blut, Larvenbrei und die Reste der Eihüllen von den Füßen. Bis über die Knie versank ich dabei in stinkendem Wasser. Irgendetwas Weiches berührte meine Waden, und ich hoffte und betete, dass es lediglich Algen oder sonstige Pflanzen, nur nichts Lebendiges war, das frei umherschwamm. Der Gedanke an Quallen oder meterlange Pantoffeltierchen ließ mich unruhig auf der Stelle treten.
Gute dreihundert Meter ragten die Wände der Halle empor. Der kilometerlange Komplex erinnerte mich an eine versunkene, der Phantasie eines Megalomanen entsprungene Basilika. In den nackten Fels geschlagene, fast einhundert Meter hohe Nischen waren in die Wände eingelassen, arkadenverzierte Lanzettfenster ohne sichtbares Dahinter, wie Felshöhlungen für riesige Buddhas. Auf dem überschwemmten Hallenboden türmten sich wahllos riesige, aus dem Deckengewölbe gebrochene Trümmer, die zusammen mit Schutt und Staub Inseln im Wasser bildeten. Hier und dort bewegten sich flinke Geschöpfe zwischen den Felsen. Unaufhörliches Flüstern, Zirpen und
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