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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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sie die einzige ihrer Art, oder hauste hier unten womöglich ein ganzer Stamm fettleibiger Furien?
    »Was für Sachen?«, fragte ich und sah mich verstohlen um.
    Die Frau packte meine Arme und hielt mich so fest, dass ich vor Schmerz aufschrie. »Du holen?«, quäkte sie. »Ich zeige dir schöne Riechsachen, du holst sie mir, ja?« Eine armlange Zunge schoss aus ihrem Maul. Sie leckte über meinen Körper, schlang sich um meinen Hals und drückte zu.
    »Also gut, zeig mir die Sachen«, presste ich hervor.
    Vana quiekte vor Freude. Sie ließ ihre Zunge liebkosend über mein Gesicht gleiten, ehe sie sie wieder in ihren Rachen zurückzog. Dann gaben auch ihre Hände mich wieder frei. Sie wirbelte herum und lief mit lächerlichen, kurzen Schritten platschend, prustend und einen Schaumschwall hinter sich herziehend durchs Wasser. Ich massierte meine schmerzenden Oberarme und folgte ihr argwöhnisch. Kein Büßer also, sondern ein Stadtgeschöpf. Ihr Verstand mochte dem einer Drei- oder Vierjährigen entsprechen, doch ihre Körperkraft machte sie trotz ihrer scheinbaren Desorientiertheit gefährlich. Wahrscheinlich hatte sie etwas zu essen gefunden, kam aber nicht an die Beute heran, da sie nicht klettern konnte, ständig abrutschte oder zu fett war, um irgendwo hineinzukriechen.
    »Dort Sachen sein!«, rief Vana nach einigen hundert Metern und deutete auf eine ausgedehnte Schlammbank. Auf ihrer höchsten Stelle lag ein Haufen undefinierbaren Zeugs, das ich aus der Entfernung nicht eindeutig erkennen konnte. Ein sonderbarer Geruch schwängerte die Luft in der Umgebung der Insel. Kein Wunder, dass Vana das Ziel ihrer Wünsche nicht erreichte; sie würde glatt im Schlamm versinken. Wahrscheinlich hatte sie es schon diverse Male versucht, war aber nach wenigen Metern gescheitert.
    »Holen, holen, holen …«, sang Vana und hüpfte vor mir im Wasser auf und ab.
    Ich schloss zu ihr auf. »Bevor ich dir etwas davon hole, musst du mir ein paar Sachen sagen«, verlangte ich, nachdem ich beschlossen hatte, im Gespräch mit ihr den Begriff ›Sachen‹ als Universalumschreibung einzusetzen. Es dürfte Vanas beschränktem Auffassungsvermögen entgegenkommen.
    »Sachen sagen?«, echote sie.
    »Hast du mich verstanden?«
    »Sachen erst holen, dann Sachen sagen!« Sie hüpfte freudig erregt weiter durchs Wasser.
    Ich hielt sie an der Schulter fest. »Nein! Hörst du? Erst sagen, dann holen!«
    Vana begann wieder zu heulen, verstummte jedoch nach einer Weile, als sie einsah, dass es ihr nichts nutzte. Die zwiespältigsten Gefühle entstellten ihr Gesicht zu absonderlichen Grimassen, dann wurden ihre Züge von tiefer Ausdruckslosigkeit überschwemmt, und sie gähnte bedrohlich intensiv.
    »Gut«, nuschelte sie schließlich. »Sachen sagen!«
    Ich erfuhr von ihr, dass sie diesen Ort Thasal Mehe nannte; ›Himmelswiege‹. Abschätzend betrachtete ich die riesigen Lanzettfenster. War dieser Halle ursprünglich ein geweihter Ort gewesen?
    Innerhalb des ›Geräusches‹, erzählte Vana weiter, lebten zudem gewisse Tuol, zwölf an der Zahl, denen sie allerdings lange nicht mehr begegnet war. Vana schien sie bereits seit einer Ewigkeit zu vermissen. Als sie mich entdeckt hatte, war sie zu der Überzeugung gelangt, ich hätte alle Tuol aufgefressen.
    Vanas Erinnerungsvermögen schien Jahrzehntausende zurückzureichen. Mich beschlich der Verdacht, dass sie nach jedem Schlaf, aus dem sie erwachte, ein Jahr zu ihrer Lebensspanne hinzurechnete. Dies würde zumindest ihr selbstzugemessenes Alter und die Zeiträume erklären, in denen sie dachte. Aber wo hauste diese Frau, und wie maß sie ihre Zeit? Besaß sie einen Kalender? Kratzte sie Kerben in Felsblöcke?
    Ich vermutete, dass Vana das besagte ›Geräusch‹ jenem riesigen, würfelförmigen Gebäude zuordnete, das keine zwei Kilometer von uns entfernt aufragte. Demzufolge könnte es einen Eingang in den Komplex geben. Als ich die Frau darauf ansprach, entnahm ich ihren Gebärden, dass ein solcher für sie bisher unauffindbar gewesen war. Also beschloss ich, den Kubus zu untersuchen, sobald ich Vanas Wunsch erfüllt hatte.
    Mit diesen mühsam gewonnenen Informationen gab ich mich vorerst zufrieden und schritt aus, um auf die Insel zu klettern. Ihr Boden senkte sich unter meinen Füßen wie eine dicke Rahmschicht auf warmer Milch. Es furzte und schmatzte, als Faulgas durch unzählige Poren der trügerischen Oberfläche aus Schlamm, toten Pflanzen und darmartigen Gebilden gepresst wurde. Die Insel

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