Morphogenesis
graute und Nebel die Landschaft verhüllte, bog Ur-El auf die Felder ein, um einem unscheinbaren Trampelpfad durch die blank gefressenen Schädel und Rippenkäfige zu folgen. Kurz nach Sonnenaufgang erreichten er und Ka schließlich eine große, trichterförmige Bodensenke, von deren Rand eine Steintreppe hinab zum Eingang eines Stollens führte. Im seinem Inneren war es angenehm kühl, und nachdem Ur-El eine Kette primitiver Wandlampen eingeschaltet hatte, offenbarte sich Ka ein breiter, kerzengerader Durchbruch, der aussah wie ein stillgelegter Eisenbahntunnel. Sein Boden war mit schweren, glatt getretenen Steinplatten gepflastert. Nach etwa dreihundert Metern endete der Stollen an einer massiven Mauer, in die eine gedrungene Metalltür eingelassen war.
Ur-El klopfte mit einem aufgelesenen Stein einen Rhythmus gegen die Pforte. Augenblicke später öffnete sich das Portal, und Licht flutete von der anderen Seite in den Tunnel. Die imponierenden Silhouetten von Tetah-El und Arat-El versperrten den Durchgang. Ka fühlte sich unbehaglich und versteckte sich hinter Ur-El. Die Maschine sprach etwas Unverständliches, worauf die beiden Erzenen wortlos zur Seite traten.
Auf der anderen Seite angelangt, wandelte der Tunnel sich zu einem breiten Korridor. Wandteppiche bedeckten die hohen, von elektrischen Lampen beleuchteten Wände, unterbrochen von kostbar anmutenden Landschaftsgemälden mit eigenartiger Linien- und Flächenornamentik. Manche Bilder zeigten schneebedeckte Berge von unglaublicher Höhe, oder Meere, an deren Ufer Wüsten grenzten.
»Wo sind wir hier?«, fragte Ka.
»In den Katakomben von Jaru«, antwortete Ur-El. »Das ist alles, was die Paraboliden übrig gelassen haben. Zwanzigtausend Jahre Geschichte, ausradiert in sechs Tagen – mors more geometrico …« Ur-El ging zu einer großen Tür am Ende des Flurs, öffnete sie mit einer ungelenken Bewegung und winkte Ka heran. »Geh hinein«, forderte er ihn auf.
Ka blickte in kosmische Schwärze. In unbestimmbarer Höhe klaffte eine große, kreisrunde Öffnung, durch die er einen Sternenhimmel erkennen konnte.
»Der Erkenntnisraum«, erklärte Ur-El. »Seine letzte Zuflucht. Alles Erdenkliche kann darin passieren; selbst das Unerdenkliche ist vorstellbar und durchführbar.«
»Was erwartet mich?«
»Wahrheit. Schmerz. Bewusstsein.«
Für einen Moment schloss Ka die Augen, um sich der Bedeutung dieser Worte bewusst zu werden, dann nickte er und trat in die Dunkelheit.
Ich lag auf dem Bauch, mit dem Gesicht in etwas Flüssigem, Warmem. Es herrschte gespenstische Stille und ein widerwärtiger Gestank. Beide Arme waren offenbar gebrochen, die Muskeln wollten mir nicht gehorchen. Ich drehte mich auf den Rücken und blieb ein paar Minuten lang mit geschlossenen Augen liegen, dann richtete ich mich umständlich auf und sah mich um.
Ich befand mich in einem geräumigen, quadratischen Gelass ohne Fenster oder Türen. Die einzige weitere Öffnung war ein großer, runder Schacht in der Bodenmitte. Über seine Ränder wucherten Pilze und Schwämme, die den gesamten Boden wie Geschwüre überzogen. Kaltes Licht erfüllte den Raum. Auf den ersten Blick schien es direkt aus den Wänden zu dringen, erzeugt von verborgenen elektrischen Quellen, die dicht unter ihrer transparenten Oberfläche lagen. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass es von den Myzeten ausging. Es phosphoreszierte aus ihren Körpern und den von ihnen abgesonderten Sekreten, die den Boden und die Wände bedeckten. Selbst ich hatte bereits an sämtlichen Körperstellen, die mit der Substanz in Berührung gekommen waren, zu leuchten begonnen. Mit gemischten Gefühlen erinnerte ich mich an die leuchtenden Medinen, die meinen Körper in den Katakomben befallen hatten …
»Elijah?«, rief ich in den Schacht hinauf, durch den ich gestürzt war. »Rabbiner!?« Ich erhielt keine Antwort. Nicht einmal der Spinnendämon ließ sein falsches Antlitz über der Öffnung blicken, woraufhin mich ein ungutes Gefühl erfasste.
Wie, um alles in der Welt, sollte ich ohne fremde Hilfe rechtzeitig wieder zurück in den Turm gelangen?
Als ich die Arme wieder bewegen konnte, riss ich mir die Reste von Demuarsells Gespinst von den Füßen. Kaum hatte ich begonnen, mich zu regen, glitten die Schwämme in alle Richtungen davon und dünsteten dabei verstärkt jenen üblen Geruch aus, der den Raum schwängerte. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, kroch ich vorsichtig zu der Schachtöffnung und blickte
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