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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Fleisch, Prothesen und künstliche Organe. Die Kleidung hatte sich weitgehend zersetzt. Der Schädel jedoch wies Charakteristika auf, die mich staunen ließen: Der Unterkiefer des Fremden war in einer Weise verlängert, die an die künstlichen Kinnbärte der Pharaonen erinnerte. Der Schädel selbst war außergewöhnlich lang, aber erschien nicht deformiert, was darauf schließen ließ, dass er von Natur aus so gewachsen und nicht von Geburt an künstlich in diese Form gezwungen worden war, wie es die alten Ägypter oder einige Andenvölker als Zeichen adliger Herkunft praktiziert hatten. Ich kauerte neben dem Skelett eines Wesens, dessen Aussehen die Menschen der Pharaonenzeit über Jahrtausende hinweg imitiert hatten.
    Fraglich war, was dem Unglücklichen den Garaus gemacht hatte. War er womöglich aufgrund seines Körperumfangs zwischen den Wänden des Stollens stecken geblieben und verhungert? Oder hauste hier noch etwas anderes, das ihn angegriffen und tödlich verletzt hatte? Hatte er womöglich noch versucht, den rettenden Ausgang zu erreichen?
    Mit einem flauen Gefühl im Magen dachte ich an die geflügelte Tausendfüßlerspinne. Blieb die Frage: Wo befand sich der offizielle Eingang in den Kubus? Beherbergte die Säule, die hinauf zur Decke führte, tatsächlich einen Lift, und führte dieser in ein weiteres ominöses Gebäude der Stadt?
    Mochten die Halle und dieses Bauwerk ihren Betreibern einst zweckdienlich gewesen sein, sie waren seit einer Ewigkeit aufgegeben und verlassen; allerdings aus einem Grund, der es nicht einmal erlaubte hatte, den Toten zu bergen …
    War der Kubus tatsächlich ein Kraftwerk aus der Gründerzeit der Stadt? Und war ich gerade dabei, ins Herz des Reaktors zu kriechen? Unmöglich, hämmerte es in mir. Er kann nicht mehr aktiv sein. Niemals konnte eine Maschine über Jahrtausende hinweg dem Verfall, den Pilzen und Schwämmen und der Feuchtigkeit dieses Ortes trotzen.
    Glaubst du?, äußerte Giza seine Zweifel. Was vibriert dann um dich herum? Ein prähistorischer Dieselmotor? Dieses Licht kann genauso gut durch intensive Strahlung entstehen, die aus einem ungeschützten Atommeiler dringt …
    Ich dachte an Vana und an die mutierten Kinder und betrachtete meine leuchtenden Hände. Kauerte ich inmitten der Maschine, die für all die Mutationen verantwortlich war? Fraß dieses Glühen sich nicht schon Millimeter für Millimeter in mein Fleisch? In meinen Kopf? Durch meine Augen ins Gehirn? In meine Gedanken …?
    Ich schlug mit den Fäusten gegen das Gestein, bis der Schmerz mich ernüchtert hatte, dann blieb ich schwer atmend sitzen und musterte das Skelett. Die Knochen sahen seltsam gekrümmt und verbogen aus. Ihrer Stellung zufolge war der Tote aus dem Inneren der Anlage gekommen, bevor er starb, hatte sich demnach auf dem Weg – oder auf der Flucht – in die Halle befunden. War der Stollen also ehemals linear verlaufen? Ich konnte mir nicht vorstellen, wieso seine Konstrukteure einen so unzweckmäßigen, absurd verlaufenden Gang hätten anlegen sollen. Somit musste es tatsächlich einen unvorhergesehenen Unfall gegeben haben, eine Art Raumverschiebung, die den gesamten inneren Kubus erfasst hatte – und womöglich sogar den Fliehenden. Als ich versuchte, mich an den sterblichen Überresten vorbeizuzwängen, zerfiel das Skelett zu Staub.
    Jenseits der Knochenfundstelle setzte sich der lumineszierende Stollen fort, und je tiefer ich in ihn vordrang, desto schwächer wurde das unangenehme Vibrieren des Gesteins. Meter für Meter quälte ich mich weiter, kroch und rutschte über klammen Boden und verrenkte meine Glieder. Der Gang verjüngte sich stellenweise derart, dass ich Mühe hatte, vorwärts zu kommen. Andernorts wuchs er ins Grottenhafte aus und war brusthoch mit fauligem Wasser gefüllt, auf dessen Oberfläche seltsame Pflanzen trieben. Ich robbte über schmierigen Grund und durchwatete stinkende Tümpel, ehe der Stollen wieder in einen mannshohen, waagerechten Korridor überging, wie er es zu Anfang gewesen war. Die Felswände jedoch schlugen jetzt Blasen wie verbrühte Haut. Schließlich stand ich vor einer massiven Tür. Ich ging in die Hocke und lauschte am Metall. Auf der anderen Seite war außer dem alles beherrschenden Brummen nichts zu hören.
    Ich lehnte mich gegen die Tür und schaffte es, sie ein Stück weit nach innen aufzudrücken. Mühsam zwängte ich mich durch den Spalt – und stand in einer Art Kontrollraum. Mich umgab ein Lichterspiel aus flackernden

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