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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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hinter mir eine Phalanx aus Taschenlampen, die die Dunkelheit zum Tag werden ließ. Zitternd strich ich über das Gestein, ließ meine Finger entlang der eingemeißelten Muster wandern.
    »Das sind keine Hieroglyphen«, flüsterte ich. »Und auch kein Determinativ, das ich kenne. Nirgendwo kommt ein solches Symbol vor.« Ich zog die Hand zurück. »Derartige Schriftzeichen habe ich nie zuvor gesehen; zu geschwungen und verschachtelt für eine Urform der Glyphen, doch auch viel zu geometrisch für das Hieratische …«
    »Es sind keine Zeichen der mir bekannten Reiche«, gestand Rahmed. »Aber das Siegelbild zeigt auch kein Motiv einer mir bekannten Gottheit oder eines Pharaonengeschlechtes.«
    Ich sah ihn über die Schulter hinweg an. Rahmed war eine wandelnde Datenbank, ein menschliches Bildarchiv und einer der besten Archäologen, die das Kairoer Nationalmuseum aufzubieten hatte. Wenn er sagte, dass er es nicht kannte …
    »Dann sind wir hier wohl auf etwas Neues gestoßen«, vollendete Károly meine Gedanken laut.
    »Oder etwas sehr Altes«, widersprach Rahmed.
    Ich musterte ihn. Sein Gesicht war angespannt, sein Blick fast furchtsam. Er hatte große Achtung vor seiner Kultur, ihrer Mythologie und den alten Traditionen, doch er fürchtete das Unbekannte, das älter war als jene Götter, die seine Ahnen angebetet hatten.
    »Es ist nicht ägyptisch«, murmelte er.
    »Bitte?« Károly drängte sich ein Stück weiter nach vorne. »Sind wir denn nicht in Ägypten?«
    Rahmed schüttelte den Kopf. »Nein, Freunde. Ägypten ist überall, nur nicht hier unten.«
    »Unsinn«, urteilte Károly. »Vor uns prangt lediglich der Beweis, dass die Kemet-Kultur viel älter ist, als man bisher annahm.«
    »Der Einflussbereich Ägyptens reichte selbst in seiner Blütezeit gerade mal zwei- bis dreihundert Kilometer weit über das Niltal hinaus in die westliche Wüste«, entgegnete Rahmed, »und südlich von Theben kaum mehr als fünfzig Kilometer. Wir jedoch sind über sechshundert Kilometer vom Nil entfernt …«
    »Alles nur eine Frage des Alters«, konterte Károly. »Wenn man die damalige Stellung der Erdachse zugrunde legt, zeigt ein Luftschacht der Cheops-Pyramide in seiner Verlängerung genau auf das Sternbild des Osiris – und zwar so wie es vor knapp elftausend Jahren ausgesehen hat!«
    »Nicht schon wieder diese Geschichte!«, stöhnte ich.
    »Und vor ebenfalls elftausend Jahren«, zeigte sich Károly von meinem Protest unbeeindruckt, »blickte der Sphinx auf sein eigenes Sternbild, das des Löwen.«
    »Zweifellos«, seufzte Rahmed. »Aber das bedeutet noch lange nicht, dass Giseh sechstausend Jahre älter ist als die Pharaonen.«
    »Warum nicht? Die Kerle haben sich in den Pyramiden schließlich nur bestatten lassen. Vielleicht übernahmen sie aus Bequemlichkeit das Erbe einer viel älteren Hochkultur.«
    »Weißt du, was der Generalsekretär der Antikenverwaltung mit mir macht, wenn ich ihm diesen Unsinn unter die Nase reibe?«
    »Wir stehen in einem ägyptischen Grabbau!«, beharrte Károly. »Zu Beginn der Jungsteinzeit verehrten eure Vorfahren fremde Götter und vielleicht sogar schon eine Art Pharaonengeschlecht, das sich in sechseckigen Pyramiden bestatten ließ.« Er blickte erwartungsvoll in die Runde. »Wir schreiben hier die Geschichte des Neolithikums neu!«
    Ich warf ihm einen knappen Blick zu, dann studierte ich wieder das geheimnisvolle Relief. Ein Doppelkranz aus eigenartigen Schriftzeichen, die nicht das Geringste mit vergleichsweise grobschlächtigen Hieroglyphen gemein hatten, umgab ein Mischwesen, das einen Gott oder ein Tier darstellen mochte. Ein aufrecht gehendes Krokodil vielleicht, einen Drachen oder einen – Saurier?
    Ich schluckte. Hatten die Erbauer dieser Anlage noch Urzeitreptilien gekannt?
    »Meiner Meinung nach ist es eine frühe bildhafte Darstellung der Göttin Taweret«, mutmaßte Mohad. »Schon die Tatsache, dass es sich bei ihr um eine sehr alte, vorgeschichtliche Gottheit handelt …«
    »Eine Gottheit des Niltals!«, warf ich ein.
    »… lässt auf ein Taweret-Abbild schließen.« Der füllige Mann funkelte mich an.
    Rahmed schürzte die Unterlippe, ein deutliches Zeichen, dass er vom Standpunkt seines Bruders nicht überzeugt war. »Taweret ist ein Mischwesen aus Nilpferd, schwangerer Frau, Krokodil und Löwe«, erklärte er. »Diese Kreatur hier sieht allerhöchstens aus wie ein Hybrid aus mehreren Reptilien; Echse und Schlange.«
    Ich strich mit den Fingerkuppen über das Relief.

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