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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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hinter dieser Wand?
    Unterhalb des Einganges blieben wir keuchend liegen. Die heiße Wüstenluft wehte heftig in die enge Spalte, und wir waren gezwungen, unsere Gesichter vor dem stechenden Flugsand zu schützen, den der Luftsog mit sich in die Tiefe riss.
    Offensichtlich hatte man auch im Lager gemerkt, dass im Stollen etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Vor dem Eingang sammelte sich eine Traube von Arbeitern und starrte mit einer Mischung aus Neugier und Furcht zu uns herab. Károly war der Erste, der sich die ›Rutschbahn‹ emporhangelte, Mohad musste wegen des Schocks mehr gezogen werden, als dass er zu klettern imstande war. Ich selbst stieg als Letzter empor.
     
    Völlig konsterniert irrte ich durch die abendliche Zeltstadt. Mich quälte das Gefühl, ersticken zu müssen, sobald ich stehen blieb. In meinem Kopf spuckte eine rasend gewordene Gedankenmaschine immer wieder denselben Satz aus: Es ist unmöglich! Es ist unmöglich! Es ist unmöglich …!
    Wie hatte in diesen uralten, von Menschenhand geschaffenen Mauern über zehntausend Jahre lang ein Vakuum überdauern können? Wie waren die Menschen der damaligen Zeit überhaupt in der Lage gewesen, mit ihren primitiven Mitteln einen luftleeren Raum zu erzeugen; dieses spärlich über das Land verstreute Volk von Hirten, Bauern und Jägern, das noch so weit von einer Hochkultur entfernt war wie die Neandertaler von der bemannten Raumfahrt? Die entzogene Luft hätte durch Risse und Spalten im Gestein augenblicklich wieder nachströmen müssen. Der gesamte Innenraum hätte irgendwann aufgrund des Unterdrucks implodieren müssen. Oder waren hier womöglich niemals Menschen am Werk gewesen? Hatte die Natur selbst das Vakuum geschaffen?
    Ich schlug mir mit den Fäusten gegen die Schläfen. Nein, nein, und nochmals nein! Das alles war völlig paradox!
    Die Furcht, etwas Schreckliches, Unwiderrufliches ausgelöst zu haben, lähmte meinen Verstand. Doch meine heimliche, unaussprechliche Vermutung, dass wir ein Tor in die Unendlichkeit aufgebrochen hatten, durch das die Luft in einen unbegreiflichen Kosmos hinübergesaugt wurde, bewahrheitete sich gottlob nicht. Nach etwas mehr als zwei Stunden verebbte der unheilvolle Sog. Ich verkroch mich in meinem Zelt und fiel erschöpft in einen unruhigen Schlaf.
     
    Nach Einbruch der Dunkelheit kam Károly mit Jasched, einem der alten Vorarbeiter, und verkündete, dass über die Hälfte der Arbeiter das Weite gesucht hatten.
    »Mohad hat ihnen erzählt, was vorgefallen ist«, erklärte er.
    »Wie geht es ihm?«
    »Er trauert, versprach aber, zur Stelle zu sein, sobald wir ihn brauchen.« Károly tauschte einen Blick mit dem Vorarbeiter und erklärte: »Er wird aber nicht mehr in den Stollen hinabgehen.«
    »Will er nicht helfen, Rahmeds Leiche zu bergen?«
    »Nein, Sayed, sicher nicht«, antwortete Jasched an seiner Stelle in akzentlastigem Englisch. »Der Aberglaube ist tief in ihm und den Arbeitern verwurzelt. Sie respektieren die Pharaonen, doch weitaus mehr fürchten sie die Flüche der Kemahor.«
    »Der Kemahor?« Ich sah Károly an. »Wer soll das sein?«
    »Lass ihn sprechen, Hype.«
    »Man erzählt sich eine sehr alte Geschichte«, begann der Vorarbeiter, »von einem goldenen Land, das existierte, bevor die Wüste über Ägypten kam. Es war ein weites Savannenland, von Flüssen und Bächen durchströmt und mit lichtem Wald bewachsen, der sich bis auf die Berge hinaufzog.«
    »Das ist keine Legende, sondern anhand archäologischer Funde bewiesen«, fiel ich ihm ins Wort.
    Jasched wiegte den Kopf, als sei er verärgert, dass ich ihn unterbrochen hatte. »Behütet von den Göttern«, fuhr er schließlich fort, »ernährten die Menschen sich von dem, was die Natur ihnen reichlich bot: Feldfrüchte, Fische und Tiere, die sie selbst züchteten, nachdem sie es aufgegeben hatten, Wild zujagen. So lebten sie Jahrhunderte lang – bis die Kemahor kamen, das schwarze Volk, das die Schlangen der Tiefe verehrte. Sie vertrieben die Menschen aus der Savanne, und jene, die aufbegehrten, versklavten sie …«
    »Augenblick!«, unterbrach ich Jasched. »Was soll das heißen: Das schwarze Volk, das Schlangen verehrte?« Ich blickte skeptisch zu Károly. »Was meint er? Nubier, die sich mit den Köpfen von Echsen und Schlangen schmückten oder einen Schlangenkult betrieben? Apophis-Jünger? Ophiten?«
    »Keine Ophiten, Sayed«, verneinte der Vorarbeiter. »Ein Volk, das die Agarepth anbetete, die Schlangen der Duat. Sie priesen

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